Verantwortlichkeitsfragen 467
2. Die Gebietserwerbungen zur Sicherung unserer Grenzen
sind nicht einseitig von der Obersten Heeresleitung gefordert, sondern in
früheren Besprechungen nach Zustimmung des Reichskanzlers und des
Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes von Seiner Mojestät gebilligt
worden.
Eine andere Grenzsicherung wie eine militärische bleibt ungenügend.
Der feste Wille der Nachbarn, mit uns in gutem Einvernehmen zu leben,
ist eine Grenzsicherung nur solange, wie es dem Nachbarn in seine Politik
hineinpaßt. Bei Österreich wird die Festigkeit im Willen verlorengehen,
sobald Polen soweit gestärkt ist, daß es seine Ausdehnungsgelüste nicht mehr
zügeln zu müssen glaubt. — Den unerwünschten Zuwachs an fremd-
stämmiger Bevölkerung müssen wir durch deutsche Kolonisation ver-
hindern. — Die Reichsleitung scheut den Kampf mit widerstrebenden An-
schauungen, sie versucht nicht, ihren Willen durchzusetzen, sondern gibt
überall nach und damit eine Forderung nach der anderen preis.
3. Nach seinem Schreiben vom 12. 12. 1917 drängte der Reichskanzler
bis zur Jahreswende 1917 zu einer Entscheidung in der elsaß-lothringischen
Frage. Bis heute (Ende Januar 1918) ist sie nicht erfolgt. Daß sie nach
rein militärischen Gesichtspunkten gelöst werden müsse, hat die Oberste
Heeresleitung nie beansprucht. Sie hat immer nur das Ziel im Auge
gehabt, Elsaß-Lothringen für die Zukunft französischem Einfluß zu ent-
reißen.
Wenn der Herr Reichskanzler ausspricht, die Notwendigkeit der mili-
tärischen Sicherungen werde vermindert, wenn die Gestaltung unseres Ver-
hältnisses zu Belgien dieses Land bei einem künftigen Krieg an unsere
Seite drängt, so ist dies richtig. Bis Belgien für ein Schutz= und Trutz-
bündnis politisch und wirtschaftlich reif ist, muß es in deutscher militärischer
Kontrolle stehen.
4. Der polnische Grenzstreifen ist notwendig.
Anlage zur Denkschrift des Reichskanzlers
über Verantwortlichkeit.
1. Die staatsrechtliche Verantwortung für die Friedensverhandlungen
trägt nach der Reichsverfassung allein der Reichskanzler. Eine Teilung
der staatsrechtlichen Verantwortung ist unmöglich. Die Verantwortung
des Reichskanzlers für die Friedensverhandlungen bezieht sich auf die zu
erstrebenden Ziele, die in Anwendung gebrachte Taktik und die Ergebnisse.
2. Die obersten militärischen Stellen, d. h. der Chef des General-
stabes des Feldheeres, der Erste Generalquartiermeister, der Kriegsminister
und der Chef des Admiralstabes der Marine, haben, soweit die Friedens-
verhandlungen die militärischen Interessen berühren, das Recht und die
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