Object: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

90 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 1.) 
würde dann eine Herabsetzung der Zölle, etwa auf die Hälfte nützen! Wenn 
wir den Roggenzoll auf 25 M für die Tonne auf vier Monate herabsetzten, 
so würde der Effekt vielleicht der sein, daß das Kilogramm etwa 2 bis 3 Pf. 
billiger würde. Ich habe nicht den Glauben, daß diese Preisermäßigung 
in dem Preise oder in dem Gewicht des Brotes zum Ausdruck kommt. 
(Sehr richtigl) 
Ich glaube nicht, daß eine so unbedeutende und auf so kurze Zeit 
ergriffene Maßregel im stande sein würde, den weniger bemittelten Klassen 
wirksam zu helfen. Ich glaube dagegen, wenn wir auf längere Zeit die 
Getreidezölle ermäßigen können, wie wir das — wie ich mir schon erlaubt 
habe zu sagen, und wie es ja offenkundig ist — im Laufe von Vertragsver- 
handlungen mit andern Staaten ins Auge gefaßt haben, daß dann auf eine 
längere Zeit, eine Reihe von Jahren, der ärmeren Bevölkerung mehr genutzt 
werden kann, daß Lohn und Brotpreise der Arbeiter sich besser stellen werden 
als jetzt, falls wir etwa auf vier Monate eine Herabsetzung herbeiführen 
wollten; wir werden dann, wie ich hoffe, die Verhältnisse dieser Klassen 
dauernd bessern, während wir jetzt im günstigsten Falle eine unbedeutende, 
kaum bemerkbare Verbesserung auf kurze Zeit haben würden. (Sehr gut! 
rechts.) 
Eine Herabsetzung oder Aufhebung der Getreidezölle wäre nun aber 
auch in handelspolitischer Beziehung für die Reichsregierung zur Zeit in so 
hohem Grade unerwünscht, wie nur irgend möglich. Für die größere Han- 
delspolitik ist eine gewisse Stetigkeit der Anschauungen, eben der leitenden 
Anschauungen, ebensogut Erfordernis, wie für Handel und Industrie und 
den Wandel im Lande. Wir können nicht in große handelspolitische Aktionen 
eintreten und sie mit Aussicht auf Erfolg durchführen, wenn wir anscheinend 
in unseren eigenen Anschauungen wechseln, noch ehe wir nur das erste Re- 
sultat solcher Aktionen eingeheimst haben. Wir würden dem Auslande 
gegenüber als eine Regierung und weiter auch als eine Nation erscheinen, 
mit der auf einen langen Zeitraum, auf eine Reihe von Jahren sich in 
solche Transaktion einzulassen, bedenklich ist. Wir würden vor der Gefahr 
stehen, daß das, was wir gewonnen haben, scheitert, noch ehe wir es an 
einer einzigen Stelle haben vollenden können, wenn wir jetzt schwankend 
werden, und einer, vom Standpunkt des Auslandes aus, doch immerhin 
leichten Strömung in entgegengesetzter Richtung nachgeben wollten. Die 
Staatsregierung ist sich ihrer Verantwortung in dieser Beziehung vollkommen 
bewußt, sie ist sich aber auch der Verantwortung bewußt, die sie tragen 
würde, wenn sie dazu mitwirkte, die handelspolitische Aktion, von der sie 
sich sehr viel für Staat und Reich verspricht, zu stören; und ich kann für 
meine Person sagen, daß ich eine solche Verantwortung auf mich zu nehmen 
nicht geneigt sein würde. Wir sind darauf gefaßt, daß man in der nächsten 
Zeit von vielen Seiten unser Verhalten nicht verstehen und mißbilligen 
wird. Indessen wir müssen uns das gefallen lassen, und wir werden es 
uns gern gefallen lassen, wenn, wie wir hoffen, das, was wir thun, dem 
Lande zum Segen gereichen wird. (Lebhafter Beifall rechts.) 
In derselben Sitzung wird die Landgemeinde-Ordnung 
in der Fassung, wie sie vom Herrenhaus zurückgekommen (vgl. 
13. Mai) mit einigen Modifikationen angenommen. 
Zum Schluß erklärt Abg. v. Rauchhaupt: 
Seine politischen Freunde würden gegen die Landgemeindeordnung 
im ganzen stimmen, wenn es ihnen auch nicht leicht werde. Sie seien dazu 
einmal genötigt, weil in den §§ 48 und 109 ihnen diejenigen Grundsätze,
	        
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