Beurteilung unserer Lage durch General Pershing 495
militärische Kraft der Mittelmächte im Frühling 1918 gegenüber zu haben.
Dieses war der Stand der Dinge, als wir in den Krieg eintraten (April
1917). Während unser Eintritt den Mut der Alliierten in mäßigen
Grenzen hob, zwang die Prüfung der Lage Amerika, so schnell wie möglich
große materielle Anstrengungen zu machen. Nach reiflicher Überlegung der
Tonnagemöglichkeiten kabelte ich am 6. 7. 1917 nach Washington:
„Pläne zur Übersendung von wenigstens einer Million Mann bis
nächsten Mai ausarbeiten.“
Die Ankunft der ersten Division und die Parade von einigen Teilen
derselben in Paris am 4. Juli 1917 löste große Begeisterung aus, so daß
für die nächste Zeit die französische Moral gehoben wurde. Dennoch waren
die alliierten Befürchtungen noch sehr tief eingewurzelt und materielle
Unterstützung sehr dringend.
Frühjahr 1918.
Ein Überblick der Lage zeigte, daß, nachdem Rußland aus dem Kriege
ausgeschieden war, die Zentralmächte imstande sein würden, eine große
Anzahl von Divisionen für anderweitigen Dienst freizumachen, und daß sie
während des Frühjahrs und Sommers 1918, ohne sich um den status quo
in Saloniki zu kümmern, auf der Westfront eine viel größere Truppenmacht
vereinigen konnten als die Alliierten. Im Hinblick auf diese Lage wurde
dem Kriegsdepartement im Dezember vorgestellt, daß es von der größten
Wichtigkeit sei, die Vorbereitungen für die Alliierten zu beschleunigen. Am
17. 12. 1917 waren 176 665 Mann amerikanischer Truppen in Frankreich,
davon aber nur eine Division an der Front erschienen. Enttäuschung über
die Verzögerung der amerikanischen Hilfe machte sich bald geltend. Die
französischen und britischen Behörden legten uns nahe, unsere Truppen
schneller an die Front zu schieben. Sie drängten zur Vereinigung unserer
Truppen mit den eigenen, sogar darauf bestehend, unsere Ausbildung zu
verkürzen, um nur das Mindestmaß der Schützengrabenausbildung zu er-
reichen, welche sie selbst bisher für nötig gehalten hatten.
Die Alliierten sind sehr geschwächt und wir müssen ihnen noch 1918 zu
Hilfe kommen. Im darauf folgenden Jahre könnte es zu spät sein. Es
ist sehr zweifelhaft, ob sie bis 1919 durchhalten können, wenn wir ihnen
nicht 1918 ausgiebig zu Hilfe kommen.
Als am 21. 3. 1918 das deutsche Heer an der Westfront eine Reihe von
Angriffen begann, war es bei weitem die mächtigste Truppe, welche die
Welt je gesehen hat. An Kampftruppen und Geschützen besaß es eine
große Überlegenheit; aber das war von geringerer Wichtigkeit, als der
Vorteil, den Moral, Erfahrung, Ausbildung und die Einheitlichkeit des
Kommandos für den Bewegungskrieg brachten. Schon seit dem Zu-