518 XXII. Friedensverhandlungen
zu sein, tritt nun die österreichisch--ungarische Monarchie neuerlich mit einer Anregung
hervor, um eine direkte Aussprache zwischen den einander feindlich gegenüberstehenden
Mächten herbeizuführen. Der ernste Friedenswille breiter Bevölkerungsschichten aller
durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Staaten, die unleugbare Annäherung in
einzelnen kontroversen Fragen, sowie die allgemein versöhnlichere Atmosphäre scheinen
der k. u. k. Regierung eine gewisse Gewähr dafür zu leisten, daß ein im Interesse des
Friedens unternommener neuerlicher Schritt, der auch den auf diesem Gebiete ge-
machten Erfahrungen Rechnung trägt, im gegenwärtigen Augenblicke die Möglichkeit
eines Erfolges bieten könnte. Die österreichisch-ungarische Regierung hat daher be-
schlossen, allen Kriegführenden, Freund und Feind, einen von ihr für gangbar ge-
haltenen Weg zu weisen und ihnen vorzuschlagen, im freien Gedankenaustausch ge-
meinsam zu untersuchen, ob jene Voraussetzungen gegeben sind, welche die baldige
Einleitung von Friedensverhandlungen als aussichtsvoll erscheinen lassen. Zu diesem
Behufe hat die k. u. k. Regierung die Regierungen aller kriegführenden Staaten zu
einer vertraulichen und unverbindlichen Aussprache an einem Orte des neutralen
Auslandes eingeladen und an sie eine in diesem Sinne verfaßte Note gerichtet. Mit
einer Rote wurde dieser Schritt zur Kenntnis des Heiligen Stuhles gebracht und
hierbei an das dem Frieden zugewendete Interesse des Papstes appelliert. Ferner
wurden auch die Regierungen der neutralen Staaten von der Demarche verständigt.
Das stets enge Einvernehmen, welches zwischen den vier verbündeten Mächten besteht,
bietet die Gewähr dafür, daß die Verbündeten Österreich-Ungarns, an welche der
Vorschlag gleicherweise ergeht, die in der Note entwickelte Auffassung teilen.
Das Friedensangebot, das die Mächte des Vierbundes am 12. Dezember 1916
an ihre Gegner gerichtet und dessen versöhnliche Grundgedanken sie niemals auf-
gegeben haben, bedeutet trotz der Ablehnung, die es erfahren, einen wichtigen Ab-
schnitt in der Geschichte dieses Krieges.
Zum Unterschied von den ersten 2½ Kriegsjahren ist von diesem Augenblick an
die Frage des Friedens im Mittelpunkt der europäischen, ja der Weltdiskussion ge-
standen und hat sie seither in immer steigendem Maße beschäftigt und beherrscht.
Der Reihe nach haben fast alle kriegführenden Staaten zur Frage des Friedens,
seiner Voraussetzungen und Bedingungen immer wieder das Wort ergriffen. Die
Linie der Entwicklung dieser Erörterungen war jedoch keine einheitliche und stetige,
die zugrunde liegenden Standpunkte wechselten unter dem Einfluß der militärischen
und politischen Lage, und zu einem greifbaren, praktisch verwertbaren allgemeinen
Ergebnis hat sie (sc. die Linie) wenigstens bisher nicht geführt.
Immerhin kann unabhängig von allen diesen Schwankungen festgestellt werben,
daß der Abstand der beiderseitigen Auffassungen sich im großen und ganzen etwas
verringerte, daß sich trotz des unleugbaren Fortbestehens entschiedener, bisher nicht
überbrückter Gegensätze eine teilweise Abkehr von manchem der extremsten konkreten
Kriegsziele zeigt und eine gewisse Übereinstimmung betreffs der allgemeinen Grund-
prinzipien des Weltfriedens manifestiert.
In beiden Lagern ist in breiten Bevölkerungsschichten ein Anwachsen des
Friedens= und Verständigungswillens unzweifelhaft wahrzunehmen. Auch ein Ver-
gleich der seinerzeitigen Aufnahme des Friedensvorschlages der Vierbundmächte bei
ihren Gegnern mit späteren Außerungen von verantwortlichen Staatsmännern der
letzteren, wie auch von nichtverantwortlichen, aber politisch keineswegs einflußlosen
Persönlichkeiten bestätigt diesen Eindruck. Während beispielsweise noch in der Ant-
wort der Alliierten an Präsident Wilson Forderungen erhoben wurden, die auf eine
Zerstückelung Österreich-Ungarns, auf eine Verkleinerung und tiefgehende innere Um-
gestaltung des Deutschen Reiches und auf die Vernichtung des europäischen Besitz-
standes der Türkei hinausliefen, wurden späterhin diese Forderungen, deren Verwirk-
lichung einen überwältigenden Sieg zur Voraussetzung hätte, in manchen Erklärungen
amtlicher Stellen der Entente modifiziert oder zum Teil fallen gelassen.
So erkannte in einer etwa vor einem Jahre im englischen Unterhause ab-
gegebenen Erklärung Mr. Balfour ausdrücklich an, daß Österreich-Ungarn seine