Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot und die Revolution von oben 529
an und befahl mir, in seinem Auftrage auf den die Geschäfte führenden
Vizekanzler v. Payer einen Druck dahin auszuüben, daß das Friedens-
angebot schleunigst erfolge. Er sagte dazu: Nachdem die Oberste Heeres-
leitung einmal diesen schweren Entschluß gefaßt hat, muß sie darauf be-
stehen, daß keine Zeit verloren wird. Auf meine Einwendung, daß die
Bildung der Regierung gewisse Zeit erfordere, sagte er: Dann müssen wir
darauf drücken, daß die Herren in Berlin sich beeilen und sich einigen.
Ich richtete dem Vizekanzler v. Payer meinen Auftrag aus, der mir
versicherte, alles tun zu wollen, was in seinen Kräften stehe. Er machte
nochmals auf die vielen Schwierigkeiten aufmerksam, daß noch niemand da
sei, um das Friedensangebot zu unterschreiben. Seine eigene Unterschrift
halte er für unzweckmäßig. Der kommende Reich-kanzler sei noch nicht
ernannt. Er sei auch nicht sicher, ob es ihm gelingen werde, ein Kabinett
zu bilden"). Ich möchte bei der Obersten Heeresleitung anfragen, ob die
Herausgabe des Friedensangebots nicht doch hinausgezögert werden kann.
Auf meine Anfrage wurde mir anliegendes Telegramm diktiert:
Ab 1. Oktober 1918, 1,30 Uhr nachmittags. An Moajor Freiherrn
v. dem Bussche für den Vizekanzler v. Payer.
Wenn bis heute abend 7 bis 8 Uhr Sicherheit vorhanden ist, daß Prinz
Max von Baden die Regierung bildet, so bin ich mit dem Aufschub bis
morgen vormittag einverstanden.
Sollte dagegen die Bildung der Regierung irgendwie zweifelhaft sein,
so halte ich die Ausgabe des Friedensangebots an die fremden Regierun-
gen heute nacht für geboten. gez. v. Hindenburg.
Notiz: übergeben 1. Oktober, 2 Uhr nachmittags, gez. v. dem Bussche."“
„Nur dieses Telegramm könnte“, so fährt Major Frhr. v. dem Bussche
fort, „als Grund für die Behauptung angesehen werden, die Oberste
Heeresleitung habe die Herausgabe des Friedensangebots innerhalb
24 Stunden gefordert. Dieses Telegramm hat aber nicht, wie gleich darauf-
hin in Berlin kolportiert wurde, die Begründung, daß ein Zusammenbruch
der Westfront innerhalb der nächsten Tage bevorstände — daß dieses von
keiner militärischen Stelle gedacht oder gesagt worden ist, geht aus den
folgenden Ausführungen hervor —, sondern es verfolgte lediglich den
Zweck, auf die Minister und Parteien immer wieder zu drücken, ihre eige-
nen und die Parteiinteressen zurückzustellen und den großen Interessen des
Heeres und des Vaterlandes unterzuordnen. Am 1. Oktober sollte ich auf
Wunsch des Grafen Roedern vor Mitgliedern des Herrenhauses sprechen.
*) In diesem Satz drückt sich die ganze von Oberst v. Haeften geschilderte Ver-
fahrenheit bei der Bildung der neuen Regierung aus. Der Vizekanzler hatte das Kabinett
nur zu bilden, wenn er selbst Reichskanzler werden sollte und von dem Kaiser hierzu
berufen war. Der Verfasser.
Urkunden der Obersten Heeresleltung 1916—1918. 84