558 XXII. Friedensverhandlungen
Der Reichskanzler: Noch eine Frage vorher. Es würde also durch die Zu-
ziehung der Truppen aus dem Osten nur der Zeitpunkt hinausgeschoben werden, den
wir Anfang Oktober gekommen glaubten, und dann die Lage wieder eintreten, die uns
gezwungen hat, den Friedensschritt zu tun?
General Ludendorff: Es kommt darauf an, was uns die Heimat noch gibt. Es
ist eine Menschenfrage').
Der Reichskanzler: Ich bitte General Hoffmann, das Wort zu nehmen.
General Hoffmann: Die Divisionen im Osten bestehen aus Leuten zwischen 35
und 45 Jahren. Die weiten Gebiete, die sie besetzt halten, die Versuchungen, die an
sie herantreten, und denen sie häufig unterliegen, sei es durch Bestechung der ostjüdischen
Händler, sei es durch bolschewistische Propaganda, haben die Truppen recht leiden lassen.
Vor Abgabe der letzten Formationen hatten wir in Litauen auf ungefähr 18 QOuadrat-
kilometer einen Soldaten. Die Truppe steht seit Monaten zerstreut in einzelnen
Postierungen, wenig beaufsichtigt, und die bolschewistischen Ibeen, verbunden mit der
Bestechung, haben sehr überhandgenommen.
Abgeben können wir nur zehn"") Divisionen, denn wir brauchen zwei Divisionen
und die Kavallerie, um die Grenze nach der Ukraine zu sperren.
Daß die Divisionen zu einem Angriff nicht mehr brauchbar sind, möchte ich
wiederholen. Defensiv haben sie noch Kraft. Ihre Ostaufgabe erfüllen sie glänzend.
Ich würde mich sogar anheischig machen, im Osten noch einmal mit ihnen anzu-
greifen. Aber gegen die Machtmittel der Feinde im Westen sind sie nicht mehr zu
verwenden.
Der Reichskanzler: Sie würden also die Wegnahme an sich für möglich halten?!
General Hoffmann: Wenn wir wegziehen wollen, ist es sehr hohe Zeit. Ich
brauche drei Monate, um die Truppen aus der Ukraine herauszubringen. Wir können
dort nur zwei bis drei Züge täglich laufen lassen, von denen bei dem Mangel an
Schmieröl noch manche ausfallen. Dabei ist mit Sabotage, ja mit Aufflammen einer
Revolution zu rechnen, wenn die Bahnen von Ukrainern bedient werden. Schon jetzt
würde das Bereitstellen der Truppen, wenn ich das ganze Material liegen lassen wollte,
besonders auch die gesammelte Ernte, drei Tage bis zur Schmalspurbahn, sechs Tage
bis zur Normalspurbahn in Anspruch nehmen. Diese Zeiten sind aber so errechnet,
daß wir keine Vorräte mitnehmen können, die sind dann verloren. Der Truppenchef
in Minsk sagt mir, daß er, um die Ernte fortzuschaffen, 500 Züge brauche; die haben
wir natürlich nicht. Wir müßten dann die Truppen marschieren lassen.
General Ludendorff: Bis jetzt ist ungefähr eine Million Menschen aus dem Ost-
gebiet ernährt worden. Diese fallen nun der Heimat zur Last. Der Viehbezug aus
der Ukraine hat die Viehbestände der Heimat sehr geschont. Wie gespannt die Lage
der Viehversorgung in Deutschland ist, weiß man. Müssen wir auf das Ostvieh ver-
zichten, so käme die Heimat nach Ansicht des Generalquartiermeisters in die größten
Schwierigkeiten. Ich habe gebeten, das auch durch die Reichsleitung feststellen zu
lassen. Wir haben bei der Obersten Heeresleitung gerade die Viehfrage für aus-
schlaggebend gehalten. Aus der Ukraine allein haben wir 140 000 Pferde geholt.
Der Reichskanzler: Wie steht es mit der bolschewistischen Armee, wird sie stärker,
kann sie uns bedrohen?
General Hoffmann: Nein, rein militärisch betrachtet, wird sie uns in absehbarer
Zeit nichts antun können, da haben wir nichts zu fürchten; aber die geistige Be-
drohung!
General Cudendorff: Und diese Gefahr ist groß. Der Kordon ist so schwach daß
wir nicht imstande sind, sie von der Heimat fernzuhalten.
Der Reichskanzler: Also der Westen wird durch die Osttruppen keine neue Stoß-
kraft erhalten; aber die verfügbaren zwölf Divisionen würden für die Verteidigung
wertvoll sein. Um sie herbeizuführen, würde man drei Monate brauchen. Dabei
*) Und eine Frage der geistigen Spannkraft. Der Verfasser.
*) Drei waren schon abtransportiert. Der Verfasser.