Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot und die Revolution von oben 561
Keiegsminister Scheüch: Wenn ich Exzellenz Ludendorff recht verstehe, so sagt er:
erhalten wir den einmaligen Zuwachs, so wird sich die Lage wesentlich ändern.
General Cudendorff: Ja.
Kriegsminisier Scheüch: Ist dabei bedacht, daß die Amerikaner immer noch mehr
Ergänzungen bekommen wie wir?
General Ludendorff: Man darf die Amerikaner nicht überschätzen. Sie sind wohl
schlimm. Aber wir haben sie bisher abgeschlagen; auch wenn wir sehr in der
Minderheit waren'?). Allerdings verschieben sich die Verhältniszahlen; aber
unsere Leute haben keine Sorge vor den Amerikanern, wohl vor den Englandern. Man
muß unserer Truppe nur das Gefühl der Vereinsamung nehmen.
Oberst Heye: In welchem Zeitraum kann der zweite Plan mit den 600 000 Mann
durchgeführt werden?
Kriegsminislter Scheüch: Ich möchte nicht eine zu kurze Zeit angeben. Wir müssen
ja aus der Industrie und Landwirtschaft schneller Menschen herausholen, als wir
anfangs glaubten. Schneller geht die Verwendung des Heimatheeres. Aus der
preußischen Heimat werden zum Beispiel 75.000 Mann kommen. Dahin habe ich den
Druck gerichtet; darin dürfen wir nicht zu ängstlich sein. Dazu kommen dann noch etwa
25 000 von den anderen Staaten. Zunächst haben wir etwa 50 000 Unausgebildete
und 250 000 Ausgebildete; aber auch deren Verwendung zieht sich noch durch Wochen
hin. Das wird auch der Obersten Heeresleitung recht sein.
General Ludendorff: Lieber wäre es uns schon, sie kämen alle gleich. Denn was
das Niederziehende für die Armee ist, die Stärken werden immer geringer und
geringer.
Kriegsminister Scheüch: Schwierigkeiten machen auch die heimatlichen Transport-
verhältnisse. Kürzlich standen bei einem Generalkommando 6000 Mann bereit zum
Abtransport an die Westfront. Sie konnten aber nicht geschickt werden, weil das
rollende Material fehlte. Das kann sich wiederholen.
General Cudendorff: Auch bei uns war durch die Räumung eine große Trans-
portkrise ausgebrochen, die sich auf die Heimat fortpflanzte. Die ist aber jetzt behoben.
Ich bin nur dankbar, wenn nach der Richtung in der Heimat das Menschenmögliche
geschieht.
Ich komme noch auf einen anderen Punkt, der nicht auf dem Fragebogen steht:
die Stimmung"") im Heer. Er ist sehr wichtig"'“"). Exzellenz Scheidemann hat neulich
auf die 41. Division hingewiesen und einen Befehl an sie angeführt. Ich habe leider
zugeben müssen, daß der Befehl richtig war. Die Division hat am 8. August völlig
versagt. Das war der schwarze Tag in Deutschlands Geschichte. Jetzt schlägt sich die-
selbe Division glänzend auf dem Ostufer der Maas. Das ist Stimmungssache. Die
Stimmung war damals schlecht. Die Division hatte Grippe gehabt, es fehlten ihr Kar-
toffeln. Die Stimmung, die die Leute aus der Heimat mitbrachten, war auch nicht
gut. Die Transporte kamen heraus in einer Form, die der Zucht und Ordnung nicht
mehr entsprach. Es kamen grobe Widersetzlichkeiten vor. Ich pflege mit den ankommen-
den Offizieren und Truppen zu sprechen. Damals sagte mir ein Herr: ein solcher
Transport, wie er ihn aus dem Bezirk des VII. Armeekorps der 13. Division geholt
hätte, wäre ihm noch nicht vorgekommen. Er hätte nicht geglaubt, deutsche Soldaten,
sondern russische Bolschewisten unter sich zu haben.
Diese Stimmung ist aus der Heimat ins Heer gekommen, und ich bin mir wohl
bewußt, daß jetzt umgekehrt die Stimmung, die die Urlauber nach der Heimat bringen,
recht schlecht ist. Ich habe mich sehr bemüht, sie zu heben, ich muß aber dringend
bitten, nicht nur für Menschen, sondern auch für die Stimmung zu sorgen.
*) Diesen Satz gibt das amtliche Weißbuch eigenartigerweise nicht wieder. Der
Verfasser.
*) Für „Stimmung" müßte es „Geist“ heißen. Es ist für die Fragen der Reichs-
regierung bezeichnend, daß sie dieses wichtigste Moment nicht erörtern. Der Verfasser.
*#% Von entscheidender Bedeutung. Der Verfasser.
Urkunden der Obersten Heeresleltung. 1916—1918. 36