Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot und die Revolution von oben 563
feste Uberzeugung. Schon die Dauer des Krieges zermürbt das Volk, und dazu die
Enttäuschungen. Der U-Bootkrieg hat enttäuscht, die technische Überlegenheit der
Gegner, der Abfall der Bundesgenossen oder doch ihr vollständiger Bankerott, dazu
die sich steigernde Not im Innern. Nun tritt die Wechselwirkung ein. Aus dem Heer
kommen die Urlauber mit schlechten Geschichten, aus der Heimat bringen sie schlechte
Nachrichten in das Heer zurück. Dieser Austausch drückt die Stimmung. Wir würden
uns täuschen, wenn wir das beschönigen wollten. Die Arbeiter kommen mehr und
mehr dazu, zu sagen, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
General Ludendorff: Wird es Euerer Exzellenz nicht gelingen, die Stimmung in
den Massen zu heben?
Staatssekretär Scheidemann: Das ist eine Kartoffelfrage. Fleisch haben wir nicht
mehr. Kartoffeln können wir nicht liefern, weil uns jeden Tag 4000 Wagen fehlen.
Fett haben wir überhaupt nicht mehr. Die Not ist zu groß, daß man vor einem völli-
gen Rätsel steht, wenn man sich fragt, wovon lebt Berlin Nord und wovon lebt Berlin
Ost. Solange man diese Rätsel nicht lösen kann, ist es ausgeschlossen, die Stimmung
zu bessern. Es wäre eine Unehrlichkeit ersten Ranges, wenn wir darüber irgendeinem
Menschen einen Zweifel ließen.
Staatssekretär Hhaußmann: Wenn wir auf die Stimmung abstellen, so stellen wir
auf einen sehr labilen Faktor ab. Kein Zweifel ist, daß das Parlament den Appell
an das Volk in der allerstärksten Weise ergehen lassen wird und auch eine starke
Wirkung erzielen kann. Wie lange, wieviel Wochen, wieviel Tage, hängt von dem
Verlauf der nächsten Ereignisse ab. Die Bevölkerung ist nämlich erst
durch den scharfen Ton der Wilsonnote vor den ganzen Ernst
der Lage gestellt worden'). Daraus ergibt sich ein großer
Widerspruch der Stimmung. Man könnte sie heben, wenn un-
verschämte Forderungen, die in der Note zwischen den Zeilen
zu lesen sind, deutlich hervorträten. Wieviel Tage haben wir
nach dem Bedürfnis der Armee noch frei zum Führen der Ver-
handlungen, davon hängt der Ton der Verhandlungen ab.
General Ludendorff: Wenn die Armee über die nächsten vier Wochen hinüber-
kommt und es in den Winter geht, so sind wir „fein heraus"“. Wenn es gelingt,
die Stimmung während dieser vier Wochen zu heben, würde
das von außerordentlichem militärischen Werte sein. JIch werde
alles tun, was ich kann, um die Verpflegung der Heimat zu bessern. Ich werde
das gleich mit dem Eisenbahnchef besprechen. Wie weit es möglich ist, übersehe
ich nicht.
Staatssekrejär Scheidemann: Der Mangel an Wagen wurde uns neulich sehr
eindringlich durch Herrn von Waldow zu Gemüte geführt. Er sagte dabei, sehr bald
würden wir nicht einmal mehr das kleine Quantum Kartoffeln haben, das jetzt noch
verteilt wird.
General Ludendorff: Ich werde das Nötige veranlassen"").
Pizekanzler v. Payer: Ich sehe nicht so schwarz wie Exzellenz Scheidemann.
Man muß da unterscheiden. Ich erinnere an die Stimmung des Sommers. Kein Mensch
hat da gezweifelt, daß wir schließlich als Sieger aus dem Kriege herausgehen, aber
der Krieg war dem Volke sehr verleidet, und die Stimmung war deshalb schlecht.
Trotzdem dachte niemand daran, daß wir zugrunde gehen könnten.
Als wir die erste Note schickten, haben sich die Leute gefragt,
was ist los? Es scheint doch nicht so gut zu sein. Bald wurde
die Stimmung unsicher. Als nun die zweite Wilsonnote kam,
da ist die Stimmung zusammengeklappt, und man hat gesehen,
daß es uns ans Leben geht, aber auch diese Stimmung schlug
wieder um: bei der Erkenntnis, daß wir als Nation, vor allem
*) Weil ihr der Versöhnungsfrieden vorgeheuchelt war. Der Verfasser.
"*) Nur soweit ich helfen konnte. Der Verfasser.
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