568 XXII. Friedensverhandlungen
Sollten die Waffenstillstandsverhandlungen kommen, so bedeutet schon die Zu-
sage der Räumung an sich eine wesentliche Verschlimmerung der militärischen Lage.
Kriegsminister Scheüch: Daß die Zurückführung des Heeres auf den heimatlichen
Boden eine außerordentliche Schwächung des Heeres bedeutet, ist zuzugeben, nicht nur
wegen der geringeren Möglichkeit der Herstellung alles dessen, was das Heer zum
Kampf nötig hat, sondern auch im Hinblick auf die Stimmung und den Gehalt der
Truppe. Eine enge Verbindung mit der Heimatbevölkerung, die niedergedrückt ist durch
die starke Belegung, drückt auch das Heer nieder. Es würden an der ganzen Grenze
dieselben Bedingungen eintreten, wie jetzt im Elsaß und noch schlechtere"). Auch die
Lebenshaltung der Bevölkerung selbst würde sehr herabgedrückt.
Admiral Scheer: Ich habe schon gestern gemeldet, wie der Stand bei der Marine
ist, muß aber wohl auch hier ein Bild von den Verhältnissen der Flotte geben, weil
es darauf ankommt, ob man den Waffenstillstand unter den Bedingungen bekommen
soll, die Wilson stellt.
In den beiden letzten Jahren hat sich die Flotte nur in den Dienst des U. Boot-
krieges gestellt und sich dabei völlig gefechtsbereit gehalten. Wenn uns die Arbeiter-
verhältnisse verbessert werden, können wir den Bau der Unterseeboote auf das Doppelte,
sa Dreifache erhöhen. Nun geht die Forderung Wilsons dahin, daß wir den U-Boot-
krieg einstellen sollen. Wenn wir dem nacgeben, würde ein ganz erhebliches Druck-
mitlel preisgegeben und eine Gegenleistung für die Annahme des Waffenstillstands
bei der jetzigen Stellung. Denn da ist doch die Lage so, daß das Heer standhalten
kann. Deshalb brauchen wir auf die zweite Wilsonsche Bedingung nicht einzugehen.
Der Reichskanzler: Damals sprachen Euere Exzellenz von 40 000 Arbeitern, die
nötig wären. Können Sie die bekommen, wenn der Kriegsminister 600 000 Mann
aufbietet?
Admiral Scheer: Bis zum 1. Dezember brauchen wir nur 15 000 bis 16 000 Mann.
Der Reichskanzler: Und bis wann brauchen Sie die 40 0007
Admiral Scheer: Erst bis in den Sommer. Wir können schon mit den ersten
16 000 Mann die monatliche Ablaufziffer von 10 auf 16 steigern.
Der Reichskanzler: Als letztes Wort möchte ich mir folgende Frage erlauben:
Wenn alle Maßnahmen getroffen werden, die Euere Exzellenz vorgeschlagen
haben, wenn die Front für die nächsten Monate hält, sind dann Euere Exzellenz der
Anschauung, daß wir dann im Laufe des nächsten Jahres eine Lage geschaffen haben
werden, die besser ist, als die, in der wir uns augenblicklich befinden?
Wir müssen uns klar darüber sein, daß jede Kraftanstrengung, die wir jetzt
machen, und die sich nicht am Ende bezahlt macht, eine Kraftverschwendung bedeutet
und eine Lage schaffen würde, deren Verantwortung wir tragen, und der wir fest
ins Auge sehen müssen. Können wir im nächsten Jahre den Krieg unter besseren
Bedingungen beenden als jetzt?
Eeneral Ludendorff: Jede Kraftanstrengung, die wir augenblicklich machen, ver-
bessert unsere Lage.
Admiral Scheer: Man steht wohl allgemein unter dem Eindruck, daß der Feind
den U.Bootkrieg sehr erheblich spürt, namentlich Italien. Das wird sich in nächster
Zeit noch steigern, besonders auch gegenüber Amerika. Wenn wir aber die Be-
dingungen annehmen, die uns gestellt worden sind, geben wir alles aus der Hand.
Der Reichskanzler: Das ist keine Antwort auf die Frage, die ich gestellt habe:
Werden wir den Krieg unter besseren Bedingungen beenden, wenn wir den Wünschen
der Obersten Heeresleitung nachgeben? Es handelt sich jetzt noch nicht um die Beant-
wortung der Note Wilsons.
Admiral Scheer: Unsere Lage wird sich bessern, weil die der Gegner sich ver-
schlechtern wird. Deshalb wollen ja die Gegner gerade in diesem Herbst fertig werden.
Graf Roedern: Es ist schon so oft gesagt worden, daß sich die Lebenshaltung
*) Diese Bedingungen hat Frankreich vier Jahre ertragen, für Rumänien und
Serbien lagen die Verhältnisse noch ungünstiger. Der Verfasser.