Full text: Borussia. Bilder aus der Geschichte des preußischen Vaterlandes.

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56. Die späte Ernte. 
(Aus dem 17. Jahrhundert). 
In früheren Zeiten wuchs der Reichthum der Klöster mit der 
Jahreszahl, das Volk verarmte dagegen; doch erzählt man auch neben- 
bei, daß die Mönche nicht immer sich der redlichsten Mittel bedient 
hätten, um ihr Besitzthum zu vergrößern. Wenn dieses auch auf der 
einen Seite wahr ist, so gab es auch Leute, die ihren Schlingen zu 
entgehen wußten und ihr rechtmäßiges Eigenthum treu, wie sich's ge- 
bührt, ihren Kindern vererbten, wie es nachfolgendes Beispiel lehrt. 
Die Mönche zu Dünnwald waren sehr pfiffige Herren, und such- 
ten ihre Einkünfte gleich ihren Vorfahren auf jegliche Weise zu ver 
mehren. Einst zeigten sie Herrn von Hall zu Schlebusch ein Pergament 
vor, das so schwarz war, als wenn es ein Jahrhundert lang im Rauch- 
fang gehangen hätte, aber worauf man noch ganz deutlich lesen konnte, 
daß an hundert Morgen Land, die der Herr von Hall von jeher im 
Besitz gehabt hatte, zum Kloster gehörten, und er meinte, das Land, 
welches seine Vorfahren im freien Besitz gehabt, von welchem er zeit- 
lebens die Früchte gezogen, könne wohl keinem Andern gehören, als 
gerade ihm. Da gab's Wortwechsel und Zank. Der Streit kam vor's 
Gericht, aber hier wurde er noch verwickelter. Endlich sagte der Herr 
von Hall, des Haderns müde: „Ich will mein Recht aufgeben, aber 
des Geschreies halber erlaubt mir, daß ich noch ein#nal eine Saat 
darauf ernte, die ich säen werde.“ Diesen Friedensvorschlag gingen 
die Mönche ein. Der Vergleich wurde schriftlich gemacht und beide 
Parteien gingen vergnügt auseinander. Das währte vom Christfest 
bis zur Hagelfeier, an welchem Festtage es in jener Zeit gebräuchlich 
war, die Felder mit der Procession zu besuchen und um Gedeihen der 
Saaten zu flehen. Nun waren die Mönche neugierig, einmal zu sehen, 
was denn der Herr von Hall auf den streitigen Acker gesäet habe, und 
wie es auf dem bald zu erlangenden Acker sprosse. Dort waren gelbe 
und graue Blättchen aufgegangen, zart gerandet und in schöne Bogen 
eingeschnitten. Das sah nicht aus wie Roggen, war auch kein Weizen 
noch Gerste, es war — o Schrecken! — Eichelnsaat! Da kratzten sich 
die Mönche hinter den Ohren und meinten, es thue ihnen kein Zahn 
mehr weh, wenn diese Saat geschnitten werden könnte, und schrieen 
über Unrecht, Betrug und Kirchenraub; allein der ehrliche von Hall 
legte den frisch geschriebenen Vergleich neben das alte Mönchsperga- 
ment, und die Herren von Dünnwald mußten sich zufrieden geben.
	        
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