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212. Voltaire und der königliche Page.
Als Voltaire einst an der königlichen Tafel speiste, stieß ihn ein
Page, welcher die Teller herum trug, unversehends mit dem Ellenbogen
an die Frisur, daß der Puder umher stäubte. Der gelehrte Franzose,
dessen Gesicht ohnehin einem Affen nicht unähnlich war, verzog dasselbe
zu einer noch fürchterlicheren Fratze und warf dem Edelknaben grimmige
Blicke zu. Der König bemerkte das und fragte, was es gäbe. Vol-
taire erwiederte: „Ich war in den Klauen eines dummen pommerschen
Thiers!“ Friedrich fand diese Antwort sehr unpassend, noch mehr ver-
droß sie den Pagen. Dieser sann daher auf Rache. Eine Gelegenheit
dazu fand sich bald.
Friedrich machte eine Reise durch Westphalen. Voltaire begleitete
ihn. Sie fuhren von Bielefeld auf das Dorf Brackwede zu. Der
Page mußte vorauf reiten und dafür sorgen, daß dem Könige überall
frische. Pferde bereit gehalten wurden. Nachdem er in dieser Beziehung
dem Schulzen von Brackwede seine Befehle ertheilt hatte, fügte er ge-
heimnißvoll hinzu: „Merkt es euch, Mann, im zweiten Wagen befindet
sich des Königs Leibaffe, das ist ein tolles, wunderliches Thier, aber
Seiner Majestät Augapfel. Sobald der Wagen hält, müßt ihr mit
einigen handfesten Männern bereit stehen und verhüten, daß es aus dem
Wagen breche und entwische. Nehmt euch aber in Acht; denn wenn
euch das Thier bisse, so würdet ihr auch toll!“ Der Schulze erwiederte
lächelnd: „Fürchtet nichts; ich habe da einige „Kärlkes,“ die sind fix.“
Als nun der Zug in Brackwede ankam, wurde der zweite Wagen von
einigen der stämmigsten Westphalen umzingelt, die mit Sensen, Heu-
gabeln und Peitschen wohlbewaffnet waren. Voltaire streckt den Kopf
aus dem Schlage und will aussteigen. „Das ist er,“ ruft der Schulz
leise und plötzlich saust dem armen Franzosen die Peitschenschnur um
die Ohren. „Mon dieu! mon dieu!“ fängt der Getroffene laut an
zu schreien. Der Schulze meint, das Thier rede in der Affensprache,
es solle ihm aber nichts helfen. Voltaire schaut abermals aus dem
Wagen; als er aber eine Menge blanker Waffen auf sein Haupt ge-
zückt sieht, schreit er noch ärger: Mon dieu! und was ihm sonst die
Angst noch auspreßt. Glücklicher Weise tritt der König herzu, den das
Geschrei aus dem Wagen gelockt, und befreit den zitternden Franzosen
aus 0r drohenden Gefahr. Jedermann aber gönnte Voltaire diesen
Schimpf.