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lichem Wuchse. Sie hatte blondes Haar, helle, offene Augen und ein
feines, zartes Wesen. Ihre Worte tönten sanft und verkündeten ein
liebevolles Herz. Einfalt lag in ihrer Sitte, Klarheit in ihrer Rede.
Mit Heiterkeit umfaßte sie das Leben. Alles an ihr war Anmuth
und Liebenswürdigkeit. Sobald sie der Kronprinz erblickte, neigte sich
sein Herz in stiller Sehnsucht zu ihr hinüber, und aus seinem Innern
tönte es herauf: „Sie muß die Gefährtin meines Lebens werden!“
Er bot ihr seine Hand; sie legte die ihrige in die seinige und noch in
demselben Jahre führte er sie zum Traualtare.
231. Der Mutterkuß.
An einem heitern Wintersonntage des Jahres 1793 war in
den Straßen Berlins, die nach Potsdam fäühren, ein gewaltiges
Wogen und Drängen. Ganz Berlin auf den Beinen. Man harrte,
festlich geschmückt, der liebenswürdigen Prinzessin von Mekklenburg, der
künftigen Kronprinzessin von Preußen. Die Berliner wußten nicht, wie
sie ihr huldigen sollten. Hätten sie Blumen gehabt, sie würden Stun-
den weit ihren Weg mit Blumen bestreut haben. Mit der Hauptstadt
freute sich das ganze Land.
Das war für die Kinder ein Feiertag!
Einhundert und ein Kanonenschlag!
Herzlustig trompeten vierzig Postillone,
Es gehen die Glocken im Jubeltone
Und grüßen die Braut von dem Königssohne,
Das Volk ruft willkommen viel tausendfach.
Das war für die Kinder ein Feiertag!
Gar königlich freut sich die Königsbraut,
Daß ihr auch die Kindlein so herzig und traut
Zum festlichen Gruße entgegenkommen
Da hat sich ein Mädchen ein Herz genommen
Und heißt sie als Mutter des Landes willkommen;
Es hat ihr herzklopfend in's Antlitz geschaut,
Und königlich freut sich die Königsbraut.
Wie ein liebseliges Mütterlein
Neigt die Braut sich herab zu dem Mägdelein;
Sie muß ihm auf's Haupt die Hände legen