84
auf sie herab. Ein Herold kündigte das Lanzenstechen an und rief
mit lauter Stimme diejenigen bei Namen auf, die den Kampf eröffnen
wollten. Keiner wurde zugelassen, der nicht vom Adel war, oder sich
ein entehrendes Verbrechen hatte zu Schulden kommen lassen. Zuweilen
erschienen auch Ritter mit geschlossenem Visir, die unbekannt bleiben
wollten bis zum Ende des Festes. Ein solcher wurde nach seinem
Wappenschilde aufgerufen, z. B. Löwenritter, Drachenritter. Auch diese
wurden zugelassen, mußten aber vorher unter dem Siegel der Ver-
schwiegenheit ihre Namen bei den Turniervögten angeben und ihre
edle Herkunft beweisen. Im Uebrigen fand keine Rangordnung statt;
Tapferkeit allein war entscheidend. Sobald die Trompeten das Zeichen
zum Angriffe gaben, tummelten die beiden Gegner ihre Rosse und
sprengten mit vorgestreckter Lanze in vollem Galopp gegen einander.
Die Lanzenspitze stand über das linke Ohr des Pferdes hinaus; das
Ende des Schaftes hielt der Kämpfer fest unter dem Arme. Jeder
war nun bemüht, seinen Gegner aus dem Sattel zu stoßen. Wem
dies gelang, der war Sieger, und der Ueberwundene durfte nicht
weiter mit kämpfen; sein Roß war dem Sieger verfallen; er konnte es
jedoch gegen eine gesetzliche Summe wieder einlösen. Nicht immer
gelang es, den Gegner aus dem Sattel zu heben. Wenn Beide gut
trafen und fest im Sattel saßen, so zersplitterten die Lanzen an den
stählernen Brustharnischen. Wessen Lanze auf diese Weise zerbrach, der
vertauschte sie mit einer andern; es gab Ritter, die an einem Tage
fünfzig Lanzen zerbrachen. Nicht selten wurden beide Kämpfer zugleich
aus dem Sattel gehoben und in den Sand geschleudert. Hatten sie
in solchen Fällen nicht den Hals oder sonst irgend ein Glied gebrochen,
so griffen sie zum Schwerte, und dann entbrannte der hitzigste Fuß-
kampf. Oft wurde so lange gefochten, bis Blut und Schweiß den
beiden Kämpfern über die Rüstung herabrieselten. Sobald sich Einer
für überwunden erkannte, mußte der Andere das Schwert sinken lassen. —
Nach dem ersten Kämpferpaare wurde das zweite aufgerufen, dann
das dritte, und so ging es weiter, meist drei Tage, oft aber auch
Wochen lang.
Den Beschluß der Ritterspiele bildete die Vertheilung des Preises.
Nach dem Ausspruche der Kampfrichter erhielt nämlich derjenige Ritter,
welcher sich am meisten ausgezeichnet hatte, einen Dank, d. h. eine
Belohnung. Derselbe bestand in einem kostbaren Schwerte, einem
prächtigen Wehrgehänge, einer goldenen Kette, einem Ringe oder in
sonst einem werthvollen Gegenstande, der ihm, unter dem Schalle der
Pauken und Trompeten, aus der Hand einer schönen Fürstentochter