Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschalt u. -Gesetzgebung. 105 
die gemeinen Delicte kann, wenn sie im Dienste begangen werden, 
oder wenn sie sich häufen, die Disciplin Schaden leiden. Aus diesem 
Grunde, und auch aus anderen Gründen, die hier nicht weiters ent- 
wickelt werden können, soll die gesammte Strafrechtspflege über 
Militärpersonen der Militärverwaltung überlassen bleiben. Obwohl nach 
deutschem Militär-Strafgesetz die gemeinen Delicte der Militärpersonen 
nach dem Reichs-Strafgesetze zu beurtheilen sind, so erstreckt sich die 
Jurisdiction der Militärgerichte doch auch auf diese von Militärpersonen 
begangenen Delicte. 
Sollen wir ein Urtheil über das Verhältnis abgeben, in welchem 
die Militär-Strafgesetzgebung zur Strafrechtswissenschaft steht, so lautet 
dasselbe dahin, dass das deutsche Militär-Strafgesetz vom Jalıre 1872, 
welches sich an das Reichsstrafgesetz enge anschließt, den Anforderungen 
der heutigen Rechtswissenschaft entspricht. Militär-Strafgesetze älteren 
Datums tragen der Abschreckungs-Theorie zu sehr Rechnung, was 
jedoch kein Vorwurf sein kann, da jedes Gesetz aus den wissenschaft- 
lichen Ansichten seiner Entstehungszeit hervorgeht. Allerdings können 
bei der praktischen Anwendung manche Härten strenger Gesetze (durch 
Strafmilderung, Begnadigung) gemildert werden. 
Der Grundsatz, dass das allgemeine Strafrecht die Grundlage des 
Militärrechts zu bilden hat, dass für den Militärstand nur insofern 
Abweichungen bestehen sollen, als dies durch das Wesen des Heeres 
gefordert wird, dass jedoch auch diese Sonderbestimmungen auf dem 
Principe der Gerechtigkeit zu beruhen haben, soll auch im Militär- 
Strafverfahren zur Anwendung kommen. Es ist jedoch ein bisher 
weder von der Gesetzgebung noch von der Wissenschaft gelöstes Problem, 
in welchen Verzweigungen die modernen Principien des Strafprocesses 
im Militär-Strafverfahren anzuwenden sind, so dass dasselbe sowohl 
den Anforderungen der Rechtswissenschaft als jenen des Heerwesens 
entspricht. Während für den ganzen Umfang des Deutschen Reiches 
ein Militär-Strafgesetz besteht, sind derzeit noch drei Strafprocess- 
Ordnungen in Kraft, die würtembergische vom Jahre 1818, die bayrische 
vom Jahre 1869, und für die übrigen deutschen Staaten die preußische 
vom Jahre 1845. Während sich also die deutschen Staaten darüber 
einigen konnten, welche Handlung als Militär-Delicte und mit 
welchen Strafen dieselben zu bestrafen sind, kam eine Einigung auf 
dem Gebiete des Militär-Strafverfahrens bisher nıcht zustande. 
In Bayern besteht ein mündliches, öffentliches Anklage -Verfahren, die 
preußische Militär-Strafprocess-Ordnung hingegen ist ein schriftlicher 
Inquisitions- Process mit Ausschließung der Öffentlichkeit und Be- 
schränkung der Vertheidigung. In Bayern urtheilen Schwurgerichte, in 
Preußen Schöffengerichte. Auf denselben Principien wie die preußische
	        
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