Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

Der Zeitgeist und das Militär-Strafrecht. 
Die Wahrheit der bereits von den griechischen Philosophen auf- 
gestellten Lehre, dass nichts unveränderlich besteht, dass sich alles in 
einem beständigen Flusse des Werdens befindet (zavıa fe), trifft auch 
in Bezug auf den Zeitgeist zu. — Der Zeitgeist (genius saeculi), welcher 
die Summe der herrschenden Ideen ist, welche durch Inhalt und Form 
einer Zeit angehören und sie von andern Zeitperioden unterscheiden, 
rastet niemals, sondern schreitet immer fort. Es entstehen Ideen, welche 
die Geisteswelt mächtig anregen, tiefgehende Umwälzungen im Leben 
der Völker herbeiführen, um dann wieder zu verschwinden und andern 
Ideen Platz zu machen. 
Die Geschichte des Zeitgeistes ist mit der Weltgeschichte iden- 
tisch. „Die Geschichte des Geistes ist seine That“, lautet ein oft citierter 
Ausspruch Hegels.') Wie die Thaten eines Menschen die in die Außen- 
welt getretenen Bethätigungen seines Willens sind, so sind die großen 
Ereignisse in der Geschichte einer Nation die Producte des Gesammt- 
geistes derselben. 
Der Zeitgeist äußert seine Wirkungen nach allen Richtungen hin, 
in rechtlicher, religiöser, wirtschaftlicher und künstlerischer Beziehung. 
Homer schrieb seine Heldendichtungen zur Zeit, als Griechenland noch 
wirkliche Helden besaß und das hellenische Volk regen Sinn für Helden- 
thaten hatte. Zur Zeit, als Philipp von Macedonien mit leichter Mühe 
Griechenland unterwarf und sagen konnte, dass ein mit Gold beladener 
Esel die Mauern der stärksten Festungen übersteige, dichtete kein 
Homer. Die deutschen Heldendichtungen (Nibelungenlied, Gudrun) ent- 
standen, als das Volk für nationale Heldenschaft empfänglich war. In 
der hohenstaufischen Zeit gelangte die deutsche Literatur „zur höchsten 
Blüte der Romantik, eroberte im 16. Jahrhundert die religiöse Freiheit, 
gewann sich in der Classik des 18. Jahrhunderts den Preis freier und 
humaner Kunst und Wissenschaft ... und strebt im 19. Jahrhundert 
dem Ziele des freien (monarchischen) Staates zu“.?) — Die Literatur- 
Geschichte zeugt, wie wir sehen, von dem Walten des Zeitgeistes. 
on Vgl. „Archiv des Criminalrechts“, Jahrg. 1555, 8. 262 u. f. 
2) Scherr, „Geschichte der deutschen Literatur“, Leipzig 1854, S. 209.
	        
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