Der Zeitgeist und das Militär-Strafrecht. 115
Nationen nannte, war die Devise der alten Welt. Es gab zwar auch
im Altherthum gemeinsame Völker-Gebräuche, namentlich in Bezug
auf die Kriegsführung. Die Beobachtung dieser Gebräuche berulite je-
doch auf religiösen Vorstellungen, und nicht auf einer anerkannten
Rechtsverbindlichkeit gegen andere Nationen, denn den Fremden ge-
stand man überhaupt kein Recht zu. Die Kriegsverträge wurden durelı
Eid und Opfer bekräftigt, und so unter den Schutz der Religion ge-
stellt. Die unter religiösen Ceremonien eingegangenen Verträge wurden
beobachtet, weil man durch deren Bruch den Zorn der Götter zu erregen
fürchtete. Es war der sacrale, nicht der Rechts-Standpunkt maßgebend.
Das Fetialrecht (die Fetialen waren ein von Numa Pompilius gegründetes
Priester-Collegium) war nur in sehr beschränktem Sinne ein Ersatz für
das noch mangelnde Völkerrecht. Der Krieg war im Alterthume ein
Kampf aller gegen alle. Der Feind war rechtlos, die Kriegsgefangenen
verfielen der Sclaverei, und die wehrhaftesten derselben verlebten den
Rest ihres Lebens meist als Gladiatoren. Bewegliche Sachen, welche
dem Feinde abgenommen wurden, wurden als Beute unter die Sieger
vertheilt. Das Beutemachen galt nach römischem Rechte als der sicherste
Titel der Erwerbung des Eigenthums. Wenn auch einzelne Strafbe-
stimmungen gegen Plünderungen vorkamen, so kann in denselben
nicht eine Anerkennung des Rechtes der Feinde erkannt werden, da
diese Strafnormen nur deshalb erlassen wurden, weil durch einreißende
Plünderung die Disciplin selır leicht gefährdet werden kann. Eine noch
rohere Auffassung über die Kriegsführung bestand im Mittelalter. Erst im
Zeitalter der Reformation eröffueten die Ereignisse den auf den Völker-
verkehr gerichteten Rechts-Anschauungen eine neue Entwicklungsbahn.
Das römische Privatrecht wurde von der ganzen romanisch-
germanischen Welt recipiert, und so zu einem gemeinsamen Rechte
aller Völker. Die Erfindung der Buchdruckerkunst bot das technische
Mittel, um die allgemeine Verbreitung der wissenschaftlichen Arbeiten
und Forschungen und des Humanismus, welcher durclı das Erwachen
der classischen Studien belebt wurde, zu ermöglichen. Nicht allein die
geistige Welt, sondern auch der räumliche Gesichtskreis war ein er-
weiterter geworden. Neue Welttlieile wurden entdeckt, der Seeweg nach
Ost-Indien wurde aufgefunden.!) Der rege Handel, welcher sich mit
den Erzeugnissen der fremden Welttheile entwickelte, brachte die Völker
unter einander in vielfache Berührung und Wechselbeziehung.
Bei diesen großartigen Ereignissen entwickelte sich nothwendiger
Weise im Gegensatze zur Auffassung der antiken Welt die Anschauung,
dass der Staat nicht die alleinige Rechtsordnung auf Erden ist, da die
1), „Encyklopädie der Rechtswissenschaft“ von Holtzendorlf, S. 752.
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