116 Der Zeitgeist und das Militär-Strafrecht.
ganze Menschheit in verschiedenen Staaten lebt, und mit dieser Rechts-
anschauung das Völkerrecht, dessen Grundlage schon durch das Christen-
thum dadurch geschaffen war, dass dasselbe, ohne einen Unterschied
der Nationalitäten zu machen, die Nächstenliebe als ein Gebot der Re-
ligion aufstellte.
Dieses durch den Zeitgeist hervorgerufene allgemeine Rechtsbe-
wusstsein fand bald die theoretische Formulierung. Der Niederländer
Hugo Grotius war es, welcher in seinem berühmten Werke: „De jure
belli et pacis* das erste wissenschaftliche System eines Völkerrechts
schuf. Nach Hugo Grotius können insbesonders Pufendorf, Leibniz,
Bynkershoek, Barbeyrac, Vattel, und in unserem Jahrhundert Heffter,
der Deutsch -Amerikaner Lieber und Bluntschli als die wissenschaftlichen
Koryphäen des Völkerrechts bezeichnet werden.
Wenn wir auch noch weit von der Verwirklichung der Idee eines
ewigen Friedens entfernt sind, so hat sich doch zum Segen der Mensch-
heit die Kriegführung in der Neuzeit im Geiste der Humanität ent-
wickelt. Während im Alterthume und Mittelalter der Krieg gegen alle
Unterthanen des feindlichen Staates geführt wurde, und meist mit der
Vernichtung einer Nation endete, so gilt heute im Völkerverkehr der
Grundsatz, dass die Nationen im Frieden sich möglichst viel Gutes, im
Kriege möglichst wenig Übles zufügen sollen. Der Krieg wird nur
unter den Staaten durch ihre legitimen Streiter geführt. Als solche
werden auch die irregulären Truppen angesehen, wenn dieselben mili-
tärisch organisiert und mit solchen Abzeichen versehen sind, welche
sie auf Flintenschussweite als Soldaten erkenntlich machen. Gegen
Personen des feindlichen Wehrstandes kann im Kampfe Gewalt, sogar
bis zur Tödtung, angewendet werden, jedoch darf auch gegen sie nicht
barbarisch verfahren werden, weshalb z . B. der Gebrauch explosiver
Geschosse aus Handfeuerwaffen vom Standpunkte der Humanität miss-
billigt wird. (Petersburger Convention vom 11. December 1868.) Das
Elend der verwundeten Krieger wurde durch die Genfer Convention
vom 22. August 1864 gemildert.!)
Gegen die friedlichen Einwohner des Feindeslandes dürfen keine
Feindseligkeiten ausgeübt werden, da gegen sie kein Krieg geführt
wird. Das Eigenthum derselben kann zwar, soweit es die militärische
Nothwendigkeit erfordert, durch operative Vorgänge in Mitleidenschaft
gezogen, und auch zur Verpflegung der Armee verwendet werden, je-
doch gegen gewinnsüchtige Eingriffe Einzelner ist dasselbe geschützt. >)
y Über die Brüsseler Declwration vom Jahre 1874 vgl. Tentner, „Das Recht.
im Kriege“, 1880.
2) Streffleurs „Österreichische militärische Zeitschrift“, Jahrgang 1882, T. Bd.
S.139, und III. Bd.. 8. 70.