129 Die Ehren-Nothwehr.
Vertheidigung gegen Angrille, welche den Fortbestand zu beschränken
oder aufzulleben drohen.
Das Recht auf Fertbestaud ergibt sich daraus, dass jedes Indivi-
duum ein Theil des Ganzen ist. Es gibt ein Etwas, von Kant „das Ding
an sich“ genannt, von Schopenliauer, Kants größtem Schüler, als der
Wille erkannt, welcher das ganze Weltall durchdringt.
Der Wille als etwas Übersinnliches und Unergründetes ist es,
welcher das Wachstlinm der Pflanzen, den Zurückgang der Säfte der-
selben im Herbste und das Wiederaufleben der Pflanzen im Frühjahre
hervorbringt, und welcher sich endlich im Thiere als Instinct äußert.
Im Menschen allein ist der Wille durch das Vorhandensein der
Vernunft veredelt. Durch «die Vernunft wird der Wille des Menschen
zu einen selbstbewussten. Alle Veränderungen, welche sich in der un-
vernünftigen Welt vollziehen, werden mit Nothwendigkeit durch die
äußeren Einwirkungen hervorgerufen. Auf den Menschen wirken eben-
falls äußere Einwirkungen (Bedürfnisse) ein, welche die Motive zu seinen
Handlungen, den in die Außenwelt tretenden Willens - Entschlüssen,
sind. Allein, vermöge der Vernunft ist der Mensch ım Stande, seine
Handlungen vorher zu überlegen, die Mittel zu wählen, um zu seinem
Zwecke zu gelangen, abzuschätzen, welchen Nutzen ihm die Befriedi-
gung seiner Bedürfnisse gewährt, welche andere Folgen die Handlung
hat, und so sich selbst Motive zu setzen. Da der Wille des Menschen
vernünftig und daher frei ist, so ist derselbe für das Recht von hoher
Bedeutung. Der Mensch allein kann vermöge seines vernünftigen Willens
Gutes und Böses, Recht und Unrecht thun. Durch seinen Willen erwirbt
der Meusch Eigentlmm, indem er Sachen der Außenwelt durch Arbeit
seiner Herrschaft unterwirft; durch den Willen gelit der Mensclı Ver-
träge ein, indem er sich zu Handlungen oder Unterlassungen verpflichtet,
seinen künftigen Willen beschränkt Im Testamente überträgt der Mensch
durch seinen letzten Willen alle seine erworbenen Rechte an dritte Per-
sonen. Unrecht begelit der Mensch ebenfalls durch seinen Willen, indem
er in die Willenssphäre eines anderen Meuschen derart eingreift, dass
er sich den fremden Willen durch List oder Gewalt, die Urtypen des
Unrechtes, unterwirft.
Da jedes Individuum von der Weltseele durchdrungen ist, so kann
das Recht auf Fortbestand nicht für den Menschen allein in Anspruch
genommen werden.
Wenn ein Raubvugel einer Schwalbe oder eines Singvogels sich
bemächtigt, sv erregt es unser Mitleid. Wenn ein Stein das Wachsthum
einer Pflanze behindert, so sind wir versucht, denselben zu entfernen.
Dieses Mitgefühl für Thier nnd Pllanze wird durch die Erkenntnis wach-
geruten, dass alles Besteliende das Recht auf Existenz hat.