Dıe Ehren-Notlwehr. 123
Vom Standpunkte der heutigen Gesetzgebung kann man allerdings
nur von den Rechten der Menschen sprechen, da nur diese Rechte von
den Gesetzen geschützt werden.!)
Hat jeder Mensch ein Recht auf Existenz, so ergibt sich hieraus
auch das Recht der Vertheidigung derselben. Der Wille, welcher wider-
rechtlich in die fremde Willenssphäre übergreift, kommt ınit sich selbst
in Widerspruch, indem er den Willen eines anderen Individuuns, welches
gleich dem Individuum, welches er (der angreifende Wille) selbst be-
seelt, ein Recht auf Existenz hat, verneint. Wird dieser widerrechtliche
Wille aufgeloben, so wird das Recht wieder hergestellt. Die Nothwehr
ist also ein natürliches, nicht erst durch die positive Gesetzgebung ge-
schaffenes Recht. Schon der römische Jurist Florentinus sagt: „Juris
gentium est, ut vim atque injuriam propulsemus?“ Es ist ein Grund-
satz des Rechtes der Völker, nicht bloß des römischen Rechtes, dass
wir Unrecht mit Gewalt zurückweisen.?)
Die Vertheidigung unserer Rechte ist aber anderseits eine Be-
dingung des Fortbestandes derselben.
Ein Recht, welches nicht vertheidigt wird, welchem nichıt die That-
kraft des Individuums zur Seite steht, trägt den Keim des Verfalles in
sich. Nur der thatkräftige Wille besteht. Die große Lehrmeisterin, die
Erfahrung, lehrt, dass wir unser Recht uns erkämpfen müssen. Wir
sollen nicht alles von anderen erwarten, denn „Selbst ist der Mann“.
Wir achten auch nur denjenigen, welcher mit Energie seine Rechte
vertheidigt, während jener, welcher mit Indifferentismus seine Rechte
aufgibt, unser Missfallen erregt.
Solange die Staatsgewalt noch niclıt gehörig erstarkt ist, um die
Rechte der einzelnen Bürger zu schützen, ist es ausschließlich Sache
des Einzelnen, seine Rechte gegen ungerechte Angriffe zu wahren und
sich für erlittenes Unrecht Genugthuung zu verschaffen. Wenn der Ein-
zelne mit dem Einzelnen es nicht aufnehmen kann, werden die Fa-
milien ins Mitleiden gezogen, es entsteht ein Krieg im kleinen, welcher
mit der Blutrache endigt. Die Blutrache existiert in dem jugendlichen
Alter eines jeden Volkes, so im alten mosaischen, griechischen, rö-
mischen und germanischen Rechlıte.
In einem geordneten, erstarkten Staatswesen existiert kein Faust-
1) Die Gesetze gegen Thierquälerei bilden einen Anfang zum Schutze der
Rechte der Thiere.
2) Andere Stellen des römischen Rechtes, in welchen derselbe Gedauke zum
Ausdruck konnt, sind: „Adversus periculum naturalis ratio permittit se defen-
dere“, L.4, pr. 9,2); „Vim vi defendere onmes leges omniaque Jura permittunt‘,
I. 45, 54, ibid.; „Vim vi repellere licet, idyue jus natura comparatur®, 11, S 27, de
vi etc.