Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

188 Der Geist des Heeres und der Idealismus. 
Der Gerechtigkeitssinn ist tief in der menschlichen Natur begründet, 
Nichts gewährt uns eine größere Genugthuung, als wenn wir sehen, 
dass jedem das Seine zutheil wird, dass Lob und Tadel, Belohnung und 
Strafe mit den Handlungen in einer solchen Verkettung stehen, wie in 
der Natur die Wirkung mit der Ursache. Die militärischen Strafgesetze 
halten dann die Disciplin aufrecht, wenn dieselben unserem Rechts- 
bewusstsein entsprechen. Dieses ist aber dann der Fall, wenn dieselben 
gerecht sind, d.h. die Strafe mit dem Verschulden in einem richtigen 
Verhältnis steht. Gerechtigkeit muss das leitende Princip jedes Straf- 
gesetzes, daher auch des Militär- Strafgesetzes sein. Die Strafe kann 
daher auch nicht, wie Hönig (l. c. S. 62) glaubt, als Abschreckungsmittel 
aufgefasst werden. Der Mensch ist Person, nicht Sache, und kann daher 
auch nicht als Mittel, um andere abzuschrecken, gebraucht werden. Aber 
auch nicht als Präventiv-Mittel kann die Strafe angesehen werden, da 
sonst nach begangenem Delict eine Strafe nicht eintreten könnte. Die 
Gerechtigkeit ist der Grund zur Strafe, nur innerhalb der Grenzen 
der Gerechtigkeit kann anderen Zwecken (der Abschreckung, der Besse- 
rung) Rechnung getragen werden. Die älteren Militär-Strafgesetze be- 
ruhten auf dem Princip der Abschreckung, und dies ist auch der Grund 
der drakonischen Strafen derselben. Auch die den Process normierenden 
Gesetze müssen Garantien eines gerechten, unparteiischen Verfahrens 
bieten und dem Zeitgeist der Gegenwart entsprechen. Von Wichtigkeit 
ist auch ein genau geregeltes Beschwerderecht gegen erlittenes Unrecht. 
Durch den Eintritt in das Heer übernimmt der Soldat eine Reihe 
neuer Pflichten. Er muss daher verstehen lernen, dass die Erfüllung der 
militärischen Pflichten ebenso nothwendig ist wie die Erfüllung der 
bürgerlichen Pflichten. Der Soldat muss sich an die Erfüllung seiner 
Pflichten auch gewöhnen. Die Gewohnheit ist eine große Macht, und 
wird zu unserer zweiten Natur. Jene Handhabung der Disciplin, welche 
selbst scheinbare Kleinigkeiten mit Genauigkeit behandelt und darauf 
Gewiclit legt, dass selbst scheinbare Nebensachen, welche die Dienst- 
vorschriften vorschreiben, gewissenhaft beobachtet werden, hat ihre 
Berechtigung, da sie bewirkt, dass der Gehorsam zur Gewohnheit wird, 
dass in der Schlacht, wenn von allen Seiten die Todesgefahr droht und 
durch das Getöse der Waffen die Besinnung fast ganz aufgehoben wird, 
die militärischen Befellle mechanisch befolgt werden.') Allein die bloße 
Dressur reicht nicht mehr hin, um einen guten Geist des Heeres her- 
vorzubringen. 
Der Mensch ordnet nur ungeru seinen Willen dem Willen eines 
I) Kratt Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen, „Militärische Briefe über Infanterie“, 
1890, S. 21.
	        
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