Der militärische Landesverrath. 21l
welchem Gesetze Strafnormen gegen den absichtlichen Verrath mili-
tärischer Geheimnisse, gegen Bekanntwerden derselben aus Fahrlässig-
keit, gegen die Ausspähung und das Betreten militärischer Orte gegen
das Verbot der Militärbehörde enthalten sind. — Die Strafen der so-
genannten Lex Boulanger erschienen bald nicht strenge genug, und
wurde daher im Jahre 1891 der französischen Kammer ein neuer dies-
bezüglicher Entwurf vorgelegt, welcher gegen die Spionage in Friedens-
zeiten, wenn zum Zwecke derselben unter falschen Vorwänden mili-
tärische Orte betreten werden, die Todesstrafe (!), sonst lebenslängliche
Zwangsarbeit androht. Zwischen In- und Ausländern wird kein Unter-
schied gemacht, der Versuch ebenso wie die That selbst bestraft. Die
Strafen sind derart strenge, die Fassung des Entwurfes ist eine so un-
genaue, dass derselbe mit Recht als ein Werk der Überhastung be-
zeichnet wurde und vom juristischen und culturellen Standpunkt im
Interesse der Gesetzgebung Frankreichs selbst zu wünschen ist, dass
dieser Entwurf niemals Gesetzeskraft erlangt. ') Strafbestimmungen gegen
den militärischen Landesverrath sind berechtigt, da durch dieselben
wichtige Rechte des Staates geschützt werden. Es dürfen jedoch die
Strafen keine drakonischen sein, und es muss auch hier den verschiedenen
Schuldgraden Rechnung getragen werden, was aber bei der absolut be-
stimmten Todesstrafe und lebenslänglichen Freiheitsstrafe unmöglich ist.
Strenge, aber immerhin noch mildere Strafbestimmungen als der
französische Entwurf enthält das neue russische Gesetz gegen
den militärischen Landesverrath.
Nach diesem Gesetze wird die absichtliche Mittheilung von im
Interesse des Staates geheim gehaltener Documente oder Nachrichten
an eine fremde Regierung mit Verschickung in die entferntesten Gegen-
den Sibiriens bestraft, welche Strafe bei Beamten durch mehrjährige
Zwangsarbeit verschärft wird. Gleiche Strafe wird gegen die Ausspähung
normiert, wenn sie zum Zwecke der Mittheilung an eine fremde Re-
gierung unternommen wird. Gefängnisstrafen sind gegen die Spionage
zu anderen Zwecken und gegen das Bekanntwerden geheim gehaltener
Gegenstände aus Fahrlässigkeit angedroht.
Was die Gesetzgebung Deutschlands betrifft, erwiesen
sich die Bestimmungen des Reichs-Strafgesetzes als unzureichend. Nach
dem Reichs-Strafgesetz kann wegen Verrathes militärischer Geheimnisse
im Frieden nur derjenige bestraft werden, welcher dieselben einer
fremden Regierung mittheilt oder öffentlich bekannt macht. Der Beweis
dieser Absicht ist jedoch schwer, oft gar nicht zu erbringen. Eine andere,
I) Februarhett 1892 der „Neuen Militärischen Blätter“ von Glasenapp („Armee-
blatt“ vom 9. März 1892).
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