Das Recht und die Pflicht der Anwendung der Waffe.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Staates besteht darin, das
friedliche Nebeneinanderwohnen der Bürger zu sichern, jeden Eingriff
in die Rechtssphäre eines anderen zu hindern, und wenn derselbe den-
noch geschehen ist, durch Verhängung von Strafe die Rechtsgleichheit.
wieder herzustellen. Zur Realisierung der Rechts-Ansprüche ist jeder
gebunden, den Schutz der Gerichte anzurufen. Niemand darf sich durch
die eigene Gewalt, wie dies in den Zeiten des Faustrechtes der Fall
war, sein Recht verschaffen. Die persönliche Sicherheit und Unver-
letzlichkeit ist durch die Staatsgrundgesetze garantiert, und’ die An-
wendung der Waffe ist daher im Frieden in der Regel
ausgeschlossen, welche Regel nur wenige Ausnahmen macht.
Der Friede ist aber kein ewiger, da es kein mit einer executiven
Gewalt ausgestattetes, über den Völkern stehendes Gericht gibt, und
ein solches auch nicht bestehen kann. Der Staat wird daher oft ge-
nöthigt sein, anderen Staaten gegenüber seine Rechts-Ansprüche durch
Selbsthilfe zu realisieren. Die äußerste Selbsthilfe ist der Krieg. Im
Kriege ist dieAnwendung der Waffe die Regel. Allein auch
hier hat die Rriegsmanier Grenzen gezogen und bestimmt, in welchen
Fällen von der Wafte nicht Gebrauch gemacht werden darf. Während
also im Frieden die Anwendung der Walle die Ausnahme. das Verbot
der Anwendung der Waffe die Regel bildet, tritt im Kriege das um-
gekehrte Verhältnis ein, indem die Anwendung der Walle gegen den
Keind die Regel, das Verbot der Anwendung derselben die Aus-
nahme bildet.
Unsere Aufgabe besteht darin, die Fälle zu bestimmen, in welchen
der Soldat im Frieden von der Waffe Gebrauch machen darf, beziehungs-
weise in welchen Fällen in Kriegszeiten dem Soldaten die Anwendung
der Wafle untersagt ist. Das von uns gewählte Thema ist trotz seiner
großen Wichtigkeit von der Literatur gänzlich vernachlässigt. Dieser
stiefmütterlichen Behandlung einerseits und der noch ungenügenden
militärischen Volksbildung unserer Zeit anderseits, welche noch nicht
begreifen gelernt hat, dass das Heerwesen in Bezug auf Ordnung,
Recht und Auffassung ein besonderer Theil des Staates ist, welcher auf