914 Der militärische Landesverratlhı.
sie in Friedenszeiten begangen werden, ausführliche Strafnormen
enthält.
Die rege legislative Thätigkeit auf diesem Gebiete ist ein neuer
Beweis dafür, dass die Gesetzgebung durch die Gesellschafts- und
Lebensverhältnisse, die sie zu regeln die Aufgabe hat, bestimmt und
veranlasst wird. Die Menschheit ist nicht wegen der Gesetzgebung,
sondern die Gesetzgebung der Menschheit wegen da.
Bedenkt man, mit welchen Kriegsmitteln die Kriege in Zukunft
geführt werden, so erinnert man sich unwillkürlich an die berühmten
Verse in Sophokles’ „Antigone*:
Vieles Gewalt’ge lebt, und nichts,
Was gewaltiger als der Mensch.
Mit klugen Erfindungen so
Wohl über Verhoffen begabt,
Neigt bald er zum Bösen, bald zum Guten.
Der Mensch durchschifft auf von ihm erfundenen Fahrzeugen den
großen Ocean und das unermessliche Luftmeer, er zwingt die Erde
alljährlich Früchte in ungezählter Menge herzorzubringen, das kleine
meuschliche Gehirn berechnet die Bewegungen der Himmelskörper im
unendlichen Raum, der Mensch hat es verstanden, die allgewaltigen
Naturkräfte sich dienstbar zu machen. Die menschliche Vernunft hat sou-
veräne Gewalt auf Erden. Sie ist, wie Moltke („Trostgedanken“, I. Band
der gesammelten Schriften) sagt, ein Lichtfunke unmittelbar der Gott-
heit. „Der denkende Geist schweift durch die endlosen Fernen der
leuchtenden Sterne, er wirft das Senkblei aus in die unergründliche
Tiefe des kleinsten Lebens.“ (l.c)
Der menschliche Geist hat in der Gegenwart mannigfachere und
furchtbarere Kriegsmittel erfunden, als je zuvor bestanden. Alle Er-
fahrungen auf naturwissenschaftlichem Gebiete und alle Erfindungen
der Technik werden für Kriegszwecke verwendet. Infolge der Vervoll-
kommnung der Kriegsmittel und der raschen Veränderungen, welchen
dieselben unterworfen sind, gilt für die heutige Kriegsführung der Grund-
satz: „Bereitsein ist alles.“ Es ist daher die Gefahr, welcher jeder Staat
durch den Verratli der von ihm getroffenen militärischen Vorkehrungen
und die Ausspähung auch in Friedenszeiten ausgesetzt ist, eine viel
größere als früher. Aus diesem Grunde bestimmt die Gesetzgebung
der Gegenwart Strafen gegen den in Friedenszeiten begange-
nen militärischen Landesverrath.