916 Das Disciplinar-Strafrecht und das Prineip der Individualisierung.
Strafrecht schon lange anerkannt ist, soll,.und dies zu betonen ist der
Zweck dieser Zeilen, auch in Bezug auf die Handhabung des Disciplinar-
Strafrechts zur Anwendung kommen. Auch eine Disciplinarstrafe ist nur
dann gerecht, wenn sie dem Verschulden entspricht, das heißt, wenn
*ılle Momente, welche die Strafbarkeit einer That zu erhöhen oder zu
vermindern geeignet sind, bei Verhängung der Strafe genau in Er-
wägung gezogen werden.
Die Behandlung des Mannes muss überhaupt seinem Charakter,
seiner Individualität entsprechend sein. Nur durch eine individualisierende
Behandlung ist es möglich, dass so viele Tausende, aus welchen das
Heer besteht, zu einer Einheit verbunden werden. Als Grundsatz für
die Ausbildung des Heeres soll, naclhı unserer Ansicht, weder Drill noch
Erzielung, noch Drill und Erziehung, sondern Individnalisierung gelten.
Schon die Stoischen Philosophen sagten: Nicht zwei Haare, zwei
Körner, zwei Blätter, geschweige denn „wei Lebewesen können einander
völlig gleichen. (Cicero acad. quaest. II. dicis nihil esse idem, quod sit.
alind, stoicum est quidem nec admodum credibile, nullum esse pilum
omnibus rebus talenı, qualis sit pilus alias, nullum granum etc.)
Der Vorgesetzte muss bestrebt sein, den Charakter jedes Unter-
gebenen kennen zu lernen. Dem Charakter entsprechend hat die Be-
handlung überhaupt und insbesonders die Bestrafung im Falle von
Übertretungen gegen die militärische Disciplin zu erfolgen.
Eine absolut gleiche Behandlung ohne Rücksichtnahme auf die
Bildung, die Erziehung, die frühere Aufführung und Ishrenhaftigkeit,
kurz eine gleiche Beliandlung des Ungleichen ist, wie schon Aristoteles
bemerkt, die größte Ungerechtigkeit. Eine alles nivellierende Gleichheit
erzeugt, da sie auf die in der Natur der Dinge begründete Individualität
und Verschiedenheit aller Lebewesen keine Rücksicht nimmt, eine Un-
gleichheit. (Wahlberg, „Das Princip der Individualisierung“, S. 5.)
Liegt eine Disciplinar-Übertretung (ein im Disciplinarwege zu be-
strafendes Vergehen) vor, so wird die objective und subjective Seite
der That wohl zu erwägen sein.
Was die snbjective Scala des anzulegenden Maßstabes betrifft, so
steigt die Strafbarkeit mit der Bedeutung und dem Umfange des ver-
letzten Rechts, bei Übertretungen (Vergehen) gegen die militärische
Disciplin mit der Schädigung der Manneszucht, welche durch die That
herbeigeführt wurde oder inlolge derselben zu gewärtigen ist. Nament-
lich wird darauf Rücksicht zu nelımen sein, ob durch die That anderen
Soldaten ein schlechtes Beispiel gegeben wurde, und daher Übertretungen
gegen die Disciplin auch von andereu Soldaten zu besorgen sind. Schon
aus diesem Grunde werden Chargen, welche mit anderen Soldaten ge-
meinsam eime strafbare Handlung gegen die Disciplin begehen, strenger