218 Das Diseiplinar-Strafrecht und das Princip der Individualisierung.
sätze können auch bei Bestrafung von Disciplinar - Übertretungen als
Richtschnur dienen. Überhaupt wird sich aber bei der Strafzumessung
nicht auf einzelne Punkte zu beschränken, sondern immer die freie
menschliche Auffassung der Strafbarkeit im Auge zu behalten sein.
Das Princip der Individualisierung hat auch in Bezug auf die
Qualität der Strafmittel zur Anwendung zu kommen. Es gibt kein Uni-
versal-Strafmittel, wie es kein Universal-Heilmittel gibt.
Die Strafmittel sind in einem beständigen Flusse des Werdens
begriffen. Schon Montesquieu hat in seinem berühmten Werke: „Esprit
des lois“ nachgewiesen, dass die Strafmittel mit der Staatsform, der
rechtlichen und sittlichen Auffassung, und der Bildung des Volkes in
einem Zusammenhange stehen und sich mit diesen Factoren ändern.
In früheren Zeiten waren der Pranger, schwere Eisen, der Stock, die
Brandmarkung und verstümmelnde Leibesstrafen in Übung, während in
unserer Zeit die Freiheitsstrafe den Mittelpunkt des Strafsystems bildet.
Auch die Disciplinarstrafen haben ihre Geschichte. Die früheren
Zeiten haben sehr strenge Disciplinarstrafen zu verzeichnen, im Laufe
der Zeiten haben sich jedoch auch die Disciplinarstrafen gemildert. Mit
Recht bemerkt Stein („Die Lehre vom Heerwesen“), dass das Ausmaß
der Disciplinarstrafen (und wir fügen hinzu die Härte dieser Strafen
überhaupt) stets in einem umgekehrten Verhältnis zur Bildung des
Volkes steht, „je höher die letztere, desto niederer das erstere“.
Unser Dienstreglement trägt dem Princip der Individualisierung
Rechnung, indem es für Officiere, Cadet-Officiersstellvertreter, Feldwebel
und Cadetten, dann für die Mannschaft vom Zugsführer abwärts ver-
schiedene Disciplinarstrafen aufstellt, und mehrere Arten von Ordnungs-
und Arreststrafen normiert.
Es wird daher auch im concreten Falle bei Auswahl der zu-
lässigen Strafart auf alle Momente, welche die Strafbarkeit zu erhöhen
oder zu vermindern geeignet sind, auf die durch die strafbare Hand-
lung oder Unterlassung herbeigeführte Schädigung der Disciplin, auf
die verschiedenen Grade der Verschuldung, auf das Vorleben und die
Ehrenhaftigkeit des Schuldigen Bedacht zu nehmen sein. Unser Disci-
plinar-Strafrecht kennt, z. B. die Strafe des zweistündigen Anbindens,
und verordnet, dass diese Strafe nur dann zu verhängen ist, wenn
andere Strafen unanwendbar oder unwirksam sind. Es ist daher selbst-
verständlich, dass diese Strafe gegen Schuldige, welche sich früher
einer Ehrenhaftigkeit oder Bildung erfreuten (z. B. Einjährig-Freiwillige):
nicht in Anwendung zu bringen ist. Gegen solche Personen wird auch
die Strafe der Verrichtung niederer Dienstverrichtungen (z. B. Reini-
gungsarbeiten) nicht zu verhängen sein. Die Bestraften würden in
solchen Fällen durch die ihrer Individualität widersprecheuden Straf-