Die Kriegsgefangenschatft. 227
Nach der militärischen Gesetzgebung Österreich- Ungarns unter-
stehen die Kriegsgefangenen ebenfalls der Militär-Gerichtsbarkeit, je-
doch finden auf dieselben die Strafbestimmungen über Militär-Delicte
überhaupt keine Anwendung, da der Begriff eines Militär-Delicts in sub-
jectiver Beziehung eine auf die Kriegsartikel Österreich-Ungarns be-
eidete Militärperson zur Voraussetzung hat. Das italienische Militär-
Strafgesetz enthält besonders strenge Strafbestimmungen gegen Kriegs-
gefangene, welche sich einer Meuterei schuldig machen, der Entwurf
gegen Kriegsgefangene, welche Gewaltthätigkeiten gegen zu ihrer Be-
wachung beauftragte Militärpersonen begehen.
Die eigene Kriegsverwaltung wird die während der Kriegsgefangen-
schaft ergangenen fremden Urtheile zur Kenntnis nehmen, diesen Ur-
theilen aber nur die Bedeutung beilegen, welche denselben nach der
durch die eigenen Gerichte durchgeführten Untersuchung zukommt.
Wir kommen nunmehr zur Beantwortung der Frage, ob der Kriegs-
gefangene ein dem fremden Staate gemachtes Versprechen zu halten
verpflichtet ist. Obwohl die antike Welt ein Völkerrecht. nach heutiger
Auffassung nicht kannte, wurde doch ein dem Feinde feierlich gemachtes
Versprechen als verbindlich angesehen. Das Vorgehen des römischen
Consuls M. Attilius Regulus ist der hohen Achtung aller Zeiten wert.
Regulus, von den Carthagern gefangen genommen, wurde mit einer
Gesandtschaft nach Rom geschickt, nachdem er sich vorher durch einen
Eidschwur verpflichtet hatte, zurückzukeliren, wenn Rom den Frieden
verwürfe. Regulus sprach in Rom gegen den Friedensabschluss und
kehrte nach Verwerfung der Friedensbedingungen trotz der Bitten seiner
Gattin und Kinder, seinem Eide entsprechend, nach Carthago zurück,
obwohl er wusste, dass er einem traurigen Schicksale entgegengehe.
Gegenwärtig ist es Sitte, den kriegsgefangenen Officieren eine
freie Bewegung zu gestatten. Wenn in einem solchen Falle der Kriegs-
gefangene zur Sicherung des Staates, in dessen Machtbereich er sich
befindet, sein Ehrenwort verpfändet, nicht zu entweichen, und dennoch
entweicht, um sich der Gefangenschaft zu entziehen, so liegt
ein Vertrauensmissbrauch, ein Treubruch vor, welcher vom militärischen
Standpunkt und auch nach den Grundsätzen des Völkerrechts verpönt
ist, denn: „Fides etiam hostibus servanda.“ Auch die Berufung auf
Patriotismus kann den Bruch eines freiwillig gegebenen Ehrenwortes
nicht entschuldigen.
Ebenso strafbar ist es, wenn ein Kriegsgefangener dem Staate
gegenüber eine Zusage, z.B. an einem bestimmten Orte zu einer be-
stimmten Zeit sich zu stellen, unter Verpfändung des Elhrenwortes macht,
und dieser Zusage entgegenhandelt, oder wenn ein Kriegsgefangener
den Bedingungen, unter welchen er aus der Kriegsgefangenschaft ent-
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