VI Vorrede.
sowie das Volk seine Eigenthümlichkeit verliert. Es kann daher die
Rechtswissenschaft (und somit auch die des Militärrechts) nicht mit S1
des bestehenden Gesetzes beginnen, sondern muss auf die historische
Entwicklung des Rechts Bedacht nehmen.
Es erscheint auch nothwendig, die Gesetze fremder Staaten zu
kennen, denn „die Geschichte der Wissenschaften ist eine große Fuge,
in der die Stimmen der Völker nach und nach zum Vorschein kommen“
(Goethe). Jeder Nation gebürt ein Antheil an den Fortschritten der
Wissenschaft. Allerdings darf man nicht den Satz: „Eines schickt sich
nicht für alle“, vergessen, und darf nicht übersehen, dass ein Gesetz,
welches für einen Staat vortheilhaft ist, nicht ohne weiters in einen an-
dern Staat übertragen werden kann, in welchem ganz andere culturelle,
sociale und politische Verhältnisse bestehen.
In den folgenden Abhandlungen ist in erster Linie auf das Recht
der vaterländischen Armee Bedacht genommen. Von der ausländischen
Gesetzgebung wurde insbesonders das deutsche Militärrecht in ein-
gehender Weise berücksichtigt, da Deutschland ein Militär-Strafgesetz
aus der neueren Zeit (das Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche
Reich vom 20. Juni 1872) besitzt, und da die deutsche Rechtswissen-
schaft einen hohen Grad der Entwicklung erreicht hat.
Obwohl in den gesammelten Aufsätzen eine streng wissenschaft-
liche Behandlung des Militärrechts versucht wurde, ist doch das prak-
tische Bedürfnis nicht aus dem Auge gelassen worden. „Theorie und
Praxis sind“, wie der große Rechtsgelehrte Berner sagt, „nicht dis-
parate Begriffe, sie sind vielmehr nicht zu trennen, sie sind identisch
wie Denken und Wollen.“
Meinen Arbeiten („Militär-Privatrecht“, Innsbruck 1882; Militär-
Verbrechen und -Vergehen“, Innsbruck 1884; „Grundsätze des Militär-
Strafverfahrens“, Innsbruck 1887; „Geschichte des Militär-Strafrechts",
Berlin 1891) wurde zu meiner Freude von maßgebender Seite eine gute
Aufnahme zutheil. Ob mir durch meine hier gesammelten Abhandlungen
eine Förderung des Militärrechts gelungen ist, überlasse ich der Be-
urtheilung ruhig denkender und wissenschaftlich gebildeter Männer, an
deren Urtheil allein mir gelegen ist. Mein Streben ist, mit meinen
Kräften, wie sie eben sind, im Interesse der Wissenschaft und der
glorreichen Armee Österreich-Ungarns zu wirken.