Die Grenzen des Disciplinar-Strafrechtes. 43
Rechtsordnung. Sie unterscheiden sich durch die Schwere. Die Ver-
brechen, als die schweren Rechtsverletzungen, werden mit dem Tode
durch den Strang oder durch Erschießen, und mit Kerker, — die Ver-
gehen in der Regel mit Arrest bestraft.
Auch für das Militär-Strafrecht gilt der durch die Rechtswissen-
schaft aufgestellte Grundsatz, dass eine Handlung nur dann als Ver-
brechen oder Vergehen bestraft werden kann, wenn die Handlung vom
Gesetze als Verbrechen oder Vergehen erklärt und mit Strafe bedroht
ist (Nullum crimen sine lege, kein Verbrechen ohne Gesetz).!) Verbrechen
und Vergehen, sie mögen in der Verletzung eines Öffentlichen oder
privaten Rechtes oder der Religion bestehen, sind Verletzungen des
allgemeinen Willens des Staates, welcher formell im Gesetze ausge-
sprochen erscheint. Ist eine Handlung nicht vom Gesetze als Ver-
brechen oder Vergehen erklärt, so kann sie auch nicht als solches be-
straft werden.
Außer den Verbrechen und Vergehen gibt es noch viele Hand-
lungen und Unterlassungen, welche der militärischen Disciplin nach-
theilig sind.
Solche der Disciplin nachtheilige Handlungen, welche vom Straf-
gesetze weder als Verbrechen noch als Vergehen bezeichnet sind, wer-
den Disciplinar-Übertretungen genannt. Den militärischen Vorgesetzten
ist das Recht eingeräumt, die Untergebenen wegen derlei strafbarer
Handlungen innerhalb bestimmter Grenzen zu bestrafen. Dieses Recht
wird im Gegensatze zur Strafgerichtsbarkeit das Disciplinar-Strafrecht
genannt. Für das Disciplinar- Strafrecht gilt der Grundsatz: Nullum
crimen sine lege (kein Verbrechen ohne Gesetz) nicht, da es unmöglich
ıst, alle Handlungen, welche der Disciplin abträglich sind, im voraus
zu bestimmen. Der militärische Befehlshaber beurtheilt selbst, ob eine
vorliegende Handlung strafbar ist, und verhängt dann nach reiflicher
Überlegung aller Erschwerungs- und Milderungs-Umstände die Strafe.
Hier tritt allerdings das rein persönliche Urtheil an die
Stelle des objectiven Rechtes, allein dies ist notlıwendig, soll
die Befolgung der militärischen Vorschriften nicht illusorisch gemacht
werden.?) Die Garantie für die gerechte Handhabung des Disciplinar-
Strafrechtes ist durch den Gerechtigkeitssinn der Vorgesetzten und
durch die bestehenden, ausführlichen und rationellen Vorschriften ge-
währleistet,
Das Disciplinar-Strafrecht erstreckt sich jedoch nicht bloß auf die
Disciplinar-Übertretungen, — es können auch Handlungen, welche das
N) Vgl. namentlich „Lehrbuch des deutschen Strafrechtes“ vou Berner, 11. Aufl.,
Seite 113.
2) L. v. Stein, „Die Lehre vom Heerwesen“, S. 161.