64 Die Militär-Gerichtsbarkeit in ihrer historischen Entwicklung ete.
höchsten Magistrate die Verwaltung der Civil- und Militärgewalt ver-
einigt war. Es kam übrigens häufig vor, dass die Statthalter die un-
mittelbaren militärischen Vorgesetzten zur Durchführung der Uhnter-
suchung und Aburtheilung auch bezüglich der gemeinen Delicte dele-
gierten. Im Falle der Concurrenz !) eines militärischen und gemeinen
Dilicts scheint das Militärgericht über beide strafbaren Handlungen
erkannt zu haben.
Als Kaiser Constantin die Civil- und Militär-Verwaltung
trennte, setzte er in beiden Theilen des Reiches zwei magistri militum
(equitum und peditum) und in den Provinzen die duces und comites
ein, welche kraft ihres Commandos die Militär-Gerichtsbarkeit ausübten,
und zwar sowohl in Strafsachen über militärische und gemeine Delicte
der Soldaten, als auch in Civilsachen, wenn der Beklagte ein Soldat
war.?) Ob nach der justinianischen Gesetzgebung die Militär-Gerichts-
barkeit in Strafsachen sich über alle Delicte der Soldaten erstreckte,
oder ob dieselbe nur für die militärischen (und militärisch qualificierten
gemeinen) Verbrechen bestand, ist bestritten, da auch hier Gesetze und
Fragmente von Schriftstellern verschiedener Perioden aufgenommen
erscheinen, ohne dass klargestellt wurde, was als geltende Norm adop-
tiert ist.?)
Uns scheint die richtige Ansicht die zu sein, dass Justinian in
Betreff der Militär-Gerichtsbarkeit jenes Verhältnis wieder herstellte,
welches vor Constantin bestand; allein da Justinian die Civil- und
Militär-Verwaltung wieder vereinte, so kann man sagen, dass auch
nach der justinianischen Gesetzgebung die Militär-Gerichtsbarkeit auch
bezüglich der gemeinen Delicte der Soldaten bestand.*) Die Entschei-
dung der Straffälle höherer Officiere war dem Kaiser vorbehalten,
Bei den alten Germanen war das Heer das Volk in Waffen. Für
Vergehen im Kriege kamen vor: der Tod (durch Aufhängen an einen
Baum, Ersäufen), die Fesselung und Schläge, welche Strafen sonst dem
Rechtsleben der Germanen fremd waren. Auch in den ersten geschrie-
benen Gesetzen, in dem salischen Gesetze, in den Gesetzen der Franken,
JLongobarden, Alamannen, Ost- und West-Gothen und dann auch in der
Gesetzgebung der Karolinger?) kamen besondere Strafbestimmungen
1) L.4,S 5 (49, 16)
-) Vgl. Bethmann-Hollweg, „Handbuch des Civilprocesses", I. Bd., S.93. und
die von demselben citierten Quellenstellen.
3, Für die Ansicht, dass die Militär-Gerichtsbarkeit nach der justinianischen
Gesetzgebung sich auch auf gemeine Deliete der Soldaten erstreckt, haben sich aus-
gesprochen: Bethmann-Hollweg 1. ce und Walther, „Rechtsgeschichte“, S. 869; über
ältere Ansichten: Voct, „Do jure militari®, cap. 7, S 8.
9) Geib, „Geschichte des römischen Criminalprocesses", S. 505.
®) Lex rip., tit. 45, 1: Lex Alam., tit.24,9,3, cap. Tieinense, 501. Vgl. Friecius,