72 Die Militär-Gerichtsbarkeit in ihrer Jistorischen Entwicklung ete.
hervor. Das materielle Militär-Strafrecht muss sich, wie wir an anderer
Stello bewiesen zu haben glauben, auf das allgemeine Strafrecht gründen,
weshalb auch eine Darstellung desselben von der allgemeinen Straf-
rechts-Wissenschaft ausgehen muss; allein (die eigenthümliche Be-
schaffenheit des Heeres, namentlich «die Notliwendigkeit der strengen
Disciplin, bringt hier wesentliche Unterschiede hervor. Nicht nur die
Militärdelicte sind dem Militär-Strafrechte eigen, auch in den gemeinen
Delicten und in den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen, z. B. in
der Lehre von der Nothwehr und dem Notliechte, in Bezug auf die
Frage, inwiefern der Befehl einen Straf-Ausschliebungsgrund bildet, —
sind Verschiedenheiten vorhanden. Die Militär-Strafgerichtsbarkeit hat
nicht nur die Aufgabe, die Schuldigen der verdienten Strafe zuzuführen,
den Nichtschuldigen straflos zu erklären, sondern auch die stramme
militärische Disciplin aufrecht zu erhalten. Sull diese Aufgabe gelöst
werden, so muss die Straf-Gerichtsbarkeit von schlagfertigen Gerichten,
welche die Pflichten, die der Soldat hat, genau verstehen und ermessen
können, welchen schädigenden Einfluss auf die Diseiplin eine strafbare
Handlung hat, und von welchen Erschwerungs- und Milderungs-Um-
ständen dieselbe begleitet ist, gehandhabt werden. Solche Gerichte sind
die Militärgerichte.
Die Militär-Gerichtsbarkeit hat, wie allgemein bekannt, ihre Gegner,
welche die Beschränkung derselben auf die Militärdelicte anstreben.
Zur Widerlegung der Gegner muss man sich mit ihnen zuerst darüber
verständigen, was sie unter Militärdelicten verstehen, da dieser Begriff
weder in den verschiedenen Gesetzgebungen, noch in der Literatur ein
feststehender, genau abgegrenzter ist.
Im weitesten Umfange versteht man unter Militärdelicten alle jene
strafbaren Handlungen, welche von Militärpersonen begangen werden.
Am meisten beschränkt den Begriff der Militärdelicte jene Auffassung,
welche unter Militärdelicten jene versteht, «die nur von Soldaten be-
gangen werden können, z. B. Desertion, Subordinations-Verletzung und
andere. Diese Auffassung ist die des österreichischen Militär- Straf-
gesetzes. Andere bezeichnen alle jene strafbaren Handlungen, die im
Militär- Strafgesetze behandelt werden, wenn dieselben von Militär-
personen begangen werden, als Militärdelicete. Diese Begritisbestimmung
liegt in der Mitte der beiden früheren, indem jn den betreffenden
Militär-Strafgesetzen, z. B. des deutschen Reiches und Italiens, ’, nicht
nur jene Delicte aufgenommen sind, welche nur von Soldaten begangen
werden können, sondern auch jene, welche mit dem Dienste in un-
1) „Qualunque violazione della legge penale militare costituisce un reato mili-
tarc“, Art. 1, Codice penale,