Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft u. -Gesetzgebung. YL
keinem Zweifel unterworfen, dass bei dem heutigen Stande der Militär-
Strafprocessgesetze und den Reformbestrebungen, welche auf diesem
Gebiete bestehen, Untersuchungen über den Entwicklungsgang des
Militär-Strafprocesses von Wichtigkeit sind. In Bezug auf das citierte
Werk aber wäre eine genauere Angabe des Quellenmaterials zu wünschen,
da eine rechtshistorische Abhandlung nur dann einen Wert hat, wenn
in derselben durch Angabe der Quellen erwiesen wird, dass das Er-
zählte auf historischer Wahrheit beruht.
Der zweite Theil des Werkes enthält den Entwurf einer Militär-
Strafprocess-Ordnung. Die Grundsätze dieses Entwurfes sind folgende:
Die Militär-Gerichtsbarkeit erstreckt sich im Kriege auf alle Straf-
thaten des Soldaten, während sie im Frieden nur auf die militärischen
Delicte beschränkt sein soll. Im Processe soll nicht das Untersuchungs-,
sondern das Anklageprincip bestehen. Die Anklage wird durch einen
Militär-Anwalt vertreten. Der Angeklagte soll sich einen Vertheidiger
wählen können; wällt er keinen Vertheidiger, so wird ihm ein solcher
von amtswegen bestellt. Die Hauptverhandlung ist öffentlich und münd-
lich, d. h., die Zeugen, Sachverständigen n. s. w. werden vor dem ver-
sammelten Kriegsgericht vernommen. Das Kriegsgericht soll aus einem
Vorstand (General, Stabsofficier) und acht Richtern (Personen des Sol-
datenstandes, und zwar, wenn der Beschuldigte dem Mannschaftsstande
angehört, auch aus Personen des Mannschaftsstandes) bestehen. Ein
Kriegsgerichtsrath (Militär-Jurist) wird zu dem Kriegsgericht als Be-
rather ohne entscheidende Stimme zugezogen. Das Kriegsgericht soll
kein Schwurgericht (bei welchem Nichtjuristen über die ihnen gestellten
Fragen nur über die Schuldfrage, Juristen über die Qualification und
Strafe entscheiden), sondern ein Schöffengericht sein (welches dann vor-
handen ist, wenn Nichtjuristen allein oder mit Juristen über die Schuld
und Strafe urtheilen),
Dem Gerichtsherrn soll ein Einfluss auf die Einleitung der Unter-
suchung, die Versetzung iı den Anklagestand gewahrt bleiben.
Eine Nichtigkeitsbeschwerde ist nur zulässig wegen Verletzung
des Gesetzes oder wesentlicher Processformen.
Das Werk Molitors: „Die Kriegsgerichte und Militärstrafen im
neunzehnten Jahrliunders mit eimem Rückblicke auf die Kriegsstrafen
der Römer, die Kriegsgewohnheiten der alten Deutschen“, 1855, bietet
eine kurzgefasste Geschichte des Militär-Strafrechtes und eine Zusammen-
stellung der Grundsätze der wichtigsten zur Zeit der Verfassung des
Werkes bestandenen Militär-Strafprocess-Ordnungen.
Von Bedeutung für die Wissenschaft des Militär-Strafprocesses ist
das Werk von Karl Hilse: „Die leitenden Grundsätze des heutigen
deutschen Militär-Strafverfahrens“, 1869. Hilse hat unter Bedachtnahme