Geschichtliche Einleitung.
§ 1. Staatsrechtliche Entwicklung der wettinischen Lande bis zum Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts.1) Das Staatswesen, das sich heute als das Königreich Sachsen darstellt, hat von
seinen ersten Anfängen an teilgenommen an der großen Geschichte des deutschen Volkes im all-
gemeinen und sein Werdegang ist in den Hauptzügen der gewöhnliche eines deutschen Territoriums.
Diese haben allenthalben zum Kern ein ehemaliges königliches Amt, ein Grafenamt. Besonders
verheißungsvoll mußten aber hier die im Osten des Reichs errichteten Markgrafenämter sein,
die der Natur der Sache entsprechend von Haus aus begabt worden waren mit einem größeren
Gebiet und einer besonders kräftigen Befehlsgewalt. Preußen und Osterreich sind dafür Zeugen.
Auch Sachsen führt seinen Stammbaum auf eine solche bevorzugte Grafschaft zurück, auf die Mark-
grafschaft Meißen. Zu Schutz und Führung des im alten Sorbenlande vordringenden
Deutschtums hatte König Heinrich I. auf dem die Elbe so ausdrucksvoll überragenden Felsberge die
markgräfliche Burg gegründet. Es war ein geborener Herrschersitz. Wenn die Geschichte mit
ihren Namengebungen gerecht wäre, müßte das jetzige Königreich nach Meißen sich benennen,
wie das preußische nach Brandenburg.
Die Geschichte der Bildung der deutschen Territorien ist aber die Familiengeschichte ihrer
Fürstenhäuser. Deshalb beginnt die sächsische Geschichte mit der Verbindung des Hauses
Bettin mit jenem landschaftlichen Mittelpunkte. Dieses Haus entstammte den schwäbischen
Anfiedlungen am linken Ufer der Saale. Im Jahre 1089= wurde dem wettinischen Grafen Heinrich
von Eilenburg von Kaiser Heinrich IV. die Markgrafschaft Meißen verliehen. Von da an sind es
die Besitzungen des Geschlechtes dieses Heinrichs von Eilenburg, um die es sich für uns handelt.
Die Markgrafschaft Meißen bildet immer den festen Mittelpunkt. Aber daran fügt sich bald reich-
licher Zuwachs, bald lösen sich wieder große Gebietsstücke ab, und zwar nicht nach freier Staaten
Weise je nach dem wechselnden Ergebnisse des kriegerischen Kampfes ums Dasein, sondern, wie
es sich innerhalb des Reiches geziemt, durch friedlichen Erwerb von aussterbenden Herrscherhäusern
nach verwandtschaftlichen Beziehungen und der Gunst des Kaisers und durch friedliche Verteilung
des Landes zwischen mehreren Erbberechtigten gemäß unbefangener Übertragung privatrechtlicher
Auffassungen und gänzlicher Abwesenheit der Idee vom Staate. Von den Erwerbungen des
Bettinischen Hauses sind vor allem zwei wichtig geworden.
Im Jahre 1247 erlosch mit dem deutschen Gegenkönige Heinrich Raspe der Mannesstamm
des landgräflichen Hauses von Thüringen. Heinrich Raspe hatte aber zugunsten seines
Vetters Heinrich des Erlauchten, Markgrafen in Meißen, von Kaiser Friedrich II. eine Eventual-
belehnung erwirkt, und diesem gelang es den erhobenen Rechtsbestreitungen gegenüber sich durch-
zusetzen. Die Feindseligkeiten wurden im Jahre 1263 durch ein Abkommen beendigt, das ihn im
Besitze dieses großen Gebietszuwachses anerkannte.
Sodann erfolgte im Jahre 1423 der Erwerb des Herzogtums Sachsen. Das ge-
waltige Herzogtum Heinrichs des Löwen hatte Friedrich der Rotbart Ende des 12. Jahrhunderts
1) Eine treffliche Darstellung des Sächsischen Staatsrechts am Ende des alten Reichs und
seiner geschichtlichen Grundlagen haben wir an dem Werke von Carl Heinrich von Römer, Staats-
recht und Statistik des Churfürstentums Sachsen und der dabei befindlichen Lande, 3 Bde., 1787
bis 1792. Wertvoll wegen der starken Betonung des Staatsrechtlichen ist unter den Geschichts-
werken vor allem: Christian Ernst Weiße, Geschichte der Chursächsischen Staaten, 7 Bde., 1802
bis 1812. — Eine gedrängte Übersicht gibt Fricker in seinem (unvollendeten) Staatsrecht des König-
reichs Sachsen, S. 1—26.
Otto Mayer, Sächsisches Staatsrecht. 1