108 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 8 14.
Der Fall der dauernden Verhinderung erhält auch eine besondere Bedingtheit durch
die Vorschrift der Verf.-Urk. J9, daß eine Regierungsverwesung alsdann nur eintreten
soll, wenn der König „für die Verwaltung des Landes nicht selbst
Vorsorge getroffen hat, oder treffen kann“.
Dadurch ist das Institut eines Regierungsstellvertreters verfassungs-
rechtlich anerkannt. Diese Einrichtung pflegt auch in solchen Staaten als zulässig be-
handelt zu werden, wo eine derartige Grundlage nicht besteht, z. B. in Preußen. 5) Sie
bezieht sich auf solche Regierungsgeschäfte, welche nach der bestehenden Ordnung der
König selbst und in Person vorzunehmen hätte. Dieser kann er sich nicht ohne wichtigen
Grund entschlagen, um einen anderen damit zu betrauen. Ob ein solcher vorliegt, ent-
scheidet er allein. Der Umfang der Vertretung wird von ihm frei bestimmt; er kann so
weit gehen, daß der Regierungsstellvertreter einen Regierungsverweser ersetzt. Auch für
die Auswahl der damit zu betrauenden Person hat der König freie Hand.“) Dagegen ist
daran festzuhalten, daß die Bestellung eines solchen Vertreters selbst die Natur eines Re-
gierungsaktes hat, an die Formen eines solchen gebunden ist und volle Regierungsfähigkeit
des Königs voraussetzt. Auch dauert das Stellvertretungsverhältnis nur so lange, als
der König die Fähigkeit behält, in solcher Weise zu verfügen („Vorsorge treffen kann").
Er kann sich keinen Stellvertreter ernennen für den Fall, daß er in Geisteskrankheit ver-
fallen sollte, und jede Stellvertretung hört auf, wenn etwas Derartiges eintritt. Denn
sie setzt voraus, daß der König überwachend und Rechenschaft fordernd dahinter steht. Wo
das nicht mehr möglich wäre, ist die Regierungsverwesung am Platze.)
II. Sobald die Voraussetzungen für eine Regierungsverwesung gegeben sind, ist der
nächste Agnat des Königs dazu berufen (Verf.-Urk. &J 9 Abs. 2); die
Regierungsverwesung fällt an wie die Krone.) Der nächste Agnat, der berufen wird,
ist derjenige, an den die Krone fiele, wenn der König jetzt verstürbe. Jedoch mit einer
Abweichung, die in Natur und Zweck der Regierungsverwesung begründet ist: der Be-
5) v. Rönne-Zorn, Staats-R. der Preuß. Monarchie I S. 241ff.
6) Zweimal sind umfassende Bevollmächtigungen dieser Art vorgekommen aus Anlaß poli-
tischer Ereignisse. Zuerst gelegentlich der Unruhen von 1849, wobei der König sich auf die Festung
Königstein zurückzog und dem Gesamtministerium die Vertretung überließ. Sodann während des
Krieges von 1866; es wurde damals eine besondere „Landeskommission“ eingesetzt, bestehend aus
drei Ministern und einem General (Verordnung v. 16. Juni 1866, veröffentlicht im Ges. u. Verord.
Bl. S. 151). Vorher in den Jahren 1837 und 1838 gaben Reisen des Königs ins Ausland Ver-
anlassung zu ähnlichen Bevollmächtigungen des Gesamtministeriums. Die Vollmacht bezieht sich
immer nur auf „unaufschiebliche“ Sachen, oder „Fortführung der vorkommenden Regierungs-
geschäfte“ und ist sonst verschiedentlich beschränkt. Vor allem ist sie immer nur auf eine voraus-
sichtlich kurze Dauer äußerlicher Verhinderung berechnet. Vgll. auch Opitz, Staats-R. 1.
S. 154 Note 1.
7) Seydel, Bayr. Staats-R. I S. 230. „Die Stellvertretung, welche vom Könige wegen
eines notwendig gewordenen längeren Aufenthalts außer Landes verfügt worden ist, kann
nicht auf den Fall eintretender Geisteskrankheit erstreckt werden.“ Seydel meint allerdings,
das sei nur deshalb so, weil die Stellvertretung nur für die Dauer der Ursache wirke, um deren
willen sie angeordnet wurde. Das scheint mir aber nicht der richtige Grunde zu sein. Wenn einec
entsprechende Befristung gemacht worden ist, versteht sich das natürlich von selbst. Wenn aber
die Stellvertretung angeordnet ist „bis auf weiteres“ wegen Abwesenheit und der König kehrt
körperlich krank und schonungsbedürftig zurück, so dauert sie selbstverständlich fort. Mit der Geistes-
krankheit ist es etwas anderes; die zerstört die Möglichkeit, sich vertreten zu lassen. — Das Bayrische
Recht ist hier deshalb wichtig, weil dort der Text der bezüglichen Verfassungsbestimmungen der
gleiche ist, wie in Sachsen.
8) Der Berufene kann ausschlagen, hier wie dort; Seydel, Bayr. Staats-R. I S. 225.
Selbstverständlich ist die Ablehnung der Regierungsverwesung noch keine Ausschlagung der Krone.