82. Das albertinische Kurfürsten tum bis zum Untergang des alten Reichs. 3
ja auch im Jahre 1485 daneben mit der Hauptmasse des Gebietes unbedenklich nach alten Teilungs-
grundsätzen verfuhr.
Nun hatte aber auch Herzog Albrecht in seinem sogenannten Testamente von 1499 für seine
Linie die Individualsukzession angeordnet. Es handelte sich dabei um ein förmliches Hausgesetz;
denn es wurde mit Zustimmung der Agnaten erlassen und vom Kaiser bestätigt. Seinem Wort-
laute nach bezweckte es freilich, diese Individualsukzession nicht sowohl in der Form der Primo-
genitur, als vielmehr in Gestalt eines Seniorates festzusetzen.1)
Als nun die Kur an die albertinische Linie kam, machte es sich von selbst, daß man die für
diese vorgeschriebene Form der Individualsukzession auch maßgebend sein ließ für die allgemeine
hausgesetzliche Erbfolge und das Testament Herzog Albrechts fortan in diesem Sinne handhabte.
Auf diese Weise wurde die Primogeniturordnung zur Regel.
Doch galt sie zunächst keineswegs ausschließlich. Das Testament Herzog Albrechts hatte
nämlich die Unteilbarkeit nur angeordnet für den bereits vorhandenen Besitz seines Hauses und
wegen etwaiger späterer Erwerbungen ausdrücklich bestimmt, daß sie sollten „brüderlich und frunt-
lich zugleich geteilt werden“.
Damit hängt denn ein wichtiger Begriff des damaligen Staatsrechts zusammen. Nur die also
gebundenen Gebiete werden als „der geschlossene sächsische Landesbezirk“, als „der vereinigte
sächsische Landeskörper“ angesehen, sie sind „inkorporirt“. Die übliche Bezeichnung ist: „Kur-
und Erblande“ oder „vereinigte Kur= und Erblande“. Den Gegensatz bilden die nicht „vereinigten“,
„nicht inkorporirten Lande“.
Zu den Kur-- und Erblanden wird gerechnet: vor allem natürlich, was Herzog Albrecht selbst
aus der Teilung von 1485 erworben hatte; dann aber auch, was später infolge des Schmalkaldischen
Kriegs und der Wittenberger Kapitulation auf Kosten der Ernestiner hinzukam, denn das gilt alles
noch als fortgesetzte Erbesauseinandersetzung; endlich können auch nachträglich gemachte sonstige
Erwerbungen durch ausdrückliche Anordnung noch damit vereinigt, inkorporiert werden.
Aller andere Besitz des Hauses wäre demnach freier Erbteilung unterstellbar gewesen. Nach-
träglich wurde jedoch die Primogeniturordnung auch auf diese ausgedehnt. Als der entscheidende
Wendepunkt gilt das Testament Johann Georgs I. von 1652, mit kaiserlicher Bestätigung, aber
ohne Zustimmung der Agnaten errichtet.?) Damit fiel der ursprüngliche rechtliche Unterscheidungs-
grund zwischen Erblanden und nicht inkorporierten Landen dahin.
Aber nicht auch diese Unterscheidung selbst, denn diese hatte neben der Unteilbarkeit der ersteren
noch andere Gründe, die jetzt desto mehr in den Vordergrund treten. Sie sind von zweierlei Art.
Einmal besteht hier eine Verschiedenheit in der Einrichtung des landesherr-
lichen Regiments. Die Forderung einer einheitlich gestalteten, überall gleichmäßig arbei-
tenden Staatsmaschine ist doch erst seit der französischen Revolution so unbedingt zur Herrschaft
gelangt. Vorher ließ man gern jeden neu hinzukommenden Gebietsteil bei seiner Art, bewahrte
Gerichts-- und Verwaltungsordnung und ließ auch wohl die nötigen allgemeinen Anordnungen
für jeden Teil besonders ergehn. Daher die Einrichtung von Provinzialministerien in Preußen,
wie in Frankreich, daher die Ausdrucksweise: „die preußischen Staaten“ und „die chursächsischen
Staaten“. Herstellung einheitlicher Einrichtungen ist hier nichts Selbstverständliches, sondern be-
deutet schon eine besonders starke Zusammenfügung. Sie ist das Ergebnis längeren Bestandes
der Verbundenheit der Gebietsteile; die schöpferische Tat des staatsmännischen Geistes vermag die
Entwicklung abzukürzen. Für Sachsen ist dies geschehen durch den Kurfürsten August (1553—1586),
der wie für die Ordnung der Kirche, so für die Justiz, für die Polizei= und Finanzverwaltung Großes
geleistet und namentlich für die einheitliche Oberleitung die geeigneten Zentralbehörden geschaffen
1) Es sollen zunächst die beiden Söhne Albrechts, Georg und Heinrich, das Land gemeinsam
haben, nach dem Tode des einen fällt es an den Üüberlebenden allein, und nach dessen Tode be-
kommt es alsdann „under irer beider leibs lehns erben, werntlichs stands der Eldiste, so darzu tug-
lich sein wurde, oder wo der eldeste nach achtung irer Lande und lewte zu regieren nicht tuglich
noch schicklich sein, der nechste des Alters, darnach, Regierung der Lande haben vnd halten“. Lünig,
Reichs-Arch., P. spec., Cont. II S. ö50lff.
2) Es wird behauptet, daß Johann Georg in eben diesem Testament, in welchem er den Grund-
sätzen der Primogeniturordnung zu allgemeiner Geltung verhalf, in vollem Widerspruch damit
eine Art Erbteilung vorgenommen habe, indem er zugunsten seiner jüngeren Söhne die besonderen
Herzogtümer Sachsen-Weißenfels, Sachsen-Merseburg und Sachsen-Zeitz ausschied, die zum Glück
nach nicht allzu langer Zeit sämtlich wieder eingingen und ihre Gebiete an die Hauptlinie zurück-
fallen ließen. In Wirklichkeit war aber dabei doch die Oberhoheit des Erstgeborenen, Johann
Georgs II., der Form nach gewahrt geblieben. Vgl. Weiße, Gesch. der Chursächs. Staaten .
S. 83 ff. Von einer eigentlichen Landesteilung im älteren Sinn kann man also nicht sprechen.
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