Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

16. Zweite Kammer. Geschichtliche Entwicklung des Wahlrechts. 125 
  
diese fünf Repräsentanten „interimistisch Selbst zu ernennen“.“) Die Stände waren 
damit einverstanden. Erst durch Ges. v. 7. März 1839 fanden auch diese Wahlen ihre 
Regelung. Das Wahlrecht setzte voraus, statt der Ansässigkeit, die Zahlung eines gewissen 
Mindestsatzes von Gewerbesteuer. Die Wahl war indirekt. Durch Verordnung vom gleichen 
Tage wurde zum Zwecke dieser Wahlen das ganze Gebiet in die erforderlichen fünf Wahl- 
bezirke eingeteilt. 
Das Wahlrecht war demnach überall ein ziemlich beschränktes; wo es aber einmal 
bestand, hatte es die Neigung, mehrfach zur Geltung zu kommen. Die Ritterguts- 
besitzer wählen nicht bloß zur zweiten, sondern auch zur ersten Kammer; wenn sie in ver- 
schiedenen Kreisen Rittergüter besitzen, wählen sie in jedem (Wahlges. § 30), und wenn 
sie neben ihrem Rittergut ein bäuerliches Anwesen haben, so wählen sie noch einmal mit 
dem Bauernstande.5) Ebenso ist ein Leipziger Gewerbetreibender nicht bloß durch seinen 
Bürgermeister in der ersten Kammer vertreten, sondern nimmt auch teil an der Wahl der 
städtischen Abgeordneten in der zweiten, sowie noch einmal an der Wahl eines der fünf 
Vertreter des Handels= und Fabrikwesens. 
II. Das Jahr 1848 brachte neben dem Reichsgründungsversuch auch eine starke demo- 
kratische Strömung in die Verfassungsgesetzgebung der deutschen Staaten. In Sachsen 
erging damals das „Provisorische Gesetz wegen einiger Anderungen der Verfassungs- 
urkunde“ vom 15. November 1848. Die Hauptsache ist die Beseitigung jeder 
ständischen Gliederung der Volksvertretung. Es werden einfach 75 Abgeordnete 
i 75 Wahlbezirken gewählt, in welche das Gebiet des Königreichs einzuteilen ist. Die 
Wahl ist direkt. Wahlberechtigt ist jeder männliche volljährige Staatsangehörige, gegen 
welchen keine besonderen Ausschlußgründe bestehen, weil er unter Kuratel gestellt ist, 
Amosen empfängt usw. Zur Wählbarkeit wird außerdem ein Alter von 30 Jahren ge- 
fordert. Es ist im wesentlichen unser jetziges Reichstagswahlrecht, nur daß ausdrücklich 
auch die der Armee Angehörigen für wahlfähig erklärt sind. Das damalige Reichstags- 
wahlrecht schloß diese ja auch nicht aus.“,) 
Als der politische Umschwung eingetreten war, hat man einfach die Stände, wie Ver- 
sassungsurkunde und Wahlgesetz von 1831 sie geordnet hatten, wieder zusammenberufen 
und mit ihnen das Gesetz vom 15. August 1850 vereinbart, welches jenes „provisorische" 
Gesetz außer Kraft treten und die alten Bestimmungen wieder aufleben läßt. Die „pro- 
disorische“ Natur der 1848er Ordnungen gab diesem Verfahren die juristischen Anhalts- 
punkte.7) 
4) Landtagsakten 1831 Bd. 4 S. 2250. 
5) Verord. die Erledigung mehrerer Anfragen betr. vom 4. Juli 1832, zu § 96 des Wahlgesetzes. 
hücher Bauer wählt mehrfach, wenn er in mehreren Wahlbezirken mit Grundbesitz angesessen 
ist: Wahlges. § 77. 
6) Bezeichnender BWeise sollte damals selbst die erste Kammer zu einer Wahlkammer gemacht 
werden. Man gab ihr (außer den königlichen Prinzen) 60 Mitglieder; je drei der Wahlbezirke 
für die zweite Kammer wählten auch 2 Abgeordnete zur ersten. Der Unterschied war hier nur 
der, daß vom Wähler zur ersten Kammer noch verlangt wurde, daß er „mit Grundbesitz im 
Lande ansässig sei7, und vom Abgeordneten, daß er mindestens 10 Taler jährlich an ordentlichen 
direkten Steuern entrichte: Provisorisches Gesetz wegen einiger Abänderungen der Verf.-Urk., 
vom 15. Nov. 1848, 5 I, neue §& 68, § 69 der Verf.-Urk. 
7) Über die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens ließ sich natürlich hin und her reden. Vgl. 
darüber Leuthold, Staats-R. S. 220 Note 1; der von ihm dort bekämpfte Opitz scheint 
Fur un der angezogenen Stelle (Staats-R. I S. 38ff) diesen Fall gar nicht im Auge gehabt 
zu haben.
	        
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