Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

128 Dritter Abschnitt: Der Landtag. 8 16. 
  
Das sächsische Gesetz hat aber an dem preußischen Vorbild verschiedene Verbesserungen 
anzubringen gesucht. Wo eine Gemeinde in mehrere Wahlbezirke zerlegt ist (also bei 
allen Orten von 3500 und mehr Seelen), wird die Einreihung der Wähler in die einzelnen 
Abteilungen nach Maßgabe der Gesamtsteuerleistung der Gemeinde und für sämtliche 
Steuerzahler vorgenommen.18) Jede Abteilung erhält das nach der Seelenzahl des 
Ortes auf sie treffende Dritteil von Wahlmännern zugewiesen und wird behufs der Wahl 
für sich in Wahlbezirke geordnet.17) 
Vor allem suchte man bei den Vorschriften für die Bildung der Steuerleistungsab- 
teilungen den „plutokratischen Charakter“ dieses Wahlrechts zu mildern: 
— Steuerleistungen über 2000 M. kommen nicht in Ansatz.15) 
— Zur ersten Abteilung gehören schlechthin, auch wenn sie zur Deckung ihres Steuer- 
drittels nicht mehr nötig wären, alle Urwähler, die mindestens 300 M. entrichten, zur 
zweiten alle, die mindestens 38 M. entrichten.15) 
— Für jeden zu wählenden Wahlmann muß eine Urwählerschaft von mindestens 
fünf Mann gegeben sein; nötigenfalls muß also die Abteilung aus der nächstunteren sich 
ergänzen.) 
Ein System von Urwählerlisten und Abteilungslisten gab dem Verfahren die nötige 
Grundlage. 
Der Erfolg hat bewiesen, daß dabei den sozialdemokratischen Bestrebungen wenig 
Aussicht mehr gegeben war, im Landtage zu Wort zu kommen. 
V. Sehr bald kam man zu der Erkenntnis, daß das Ziel überschossen war. Ein ge- 
sunder Staat muß auch Widersprüche vertragen und zu verarbeiten wissen. Alle Parteien 
waren von der Notwendigkeit einer Anderung des Wahlrechts überzeugt. Das Wie ist 
natürlich nur da sehr einfach, wo man sich dem neuzeitlichen Naturrecht ohne weiteres 
unterwerfen will: jeder Kopf eine Stimme und damit fertig. Anderenfalls steht der 
Gesetzgeber, der nicht einfach Gegebenes und geschichtlich Gewordenes fortbilden soll, 
sondern von einem Irrweg umkehren und Neues schaffen, vor einer sehr schwierigen Auf- 
gabe. 
Im Herbst 1907 legte die Regierung den Ständen den Entwurf eines neuen Wahl- 
gesetzes vor.18) Die zweite Kammer sollte danach aus 82 Abgeordneten bestehen. Diese 
sollten auf zweierlei Weise gewählt werden: 40 durch die Vertreterschaften der Bezirks- 
verbände und unmittelbaren Städte, 42 durch alle Staatsangehörigen, 
13) Ges. vom 28. März 1896 § 9. Bei Großstädten, die in mehrere Wahlkreise geteilt 
sind, ist von der Gesamtsteuerleistung des Wahlkreises auszugehen. 
14) Ausf. Verord. vom 10. Okt. 1896 J+ 3. — Aus Anlaß von Miquels Steuerreform war 
in Preußen durch das Ges. vom 29. Juni 1893 eine Anpassung der Wähler-Abteilungen erfolgt. 
Die bei dieser Gelegenheit zutage getretenen Verbesserungswünsche hat sich das sächsische Ge- 
setz zunutze gemacht. Gneist, Die nationale Rechtsidee von den Ständen S. 225, 226, hatte 
namentlich auch diese Durchzählung der Abteilungszugehörigkeit durch die ganze Gemeinde ver- 
langt an Stelle der „gedankenlosen Zerreißung der größeren Schichten der Gemeindebewohner 
in zufillt ige à Parzellen“. Darauf beruft sich die Begründung: Landt.-Akten 1895/96 Kgl. Dekrete 
Bd. 
15) Ges. vom 28. März 1896 § 8 Abs. 2. Auch das war schon in Preußen vorgeschlagen ge- 
wesen; Gneist, a. a. O. S. 227 spricht sich hier dagegen aus. 
16) Ges. vom 28. März 1896 § 8 Abs. 3 u. 4: „eine weitere Garantie gegen einen pluto- 
kratischen Charakter der oberen Abteilungen“; Begründung a. a. O. S. 16. 
17) Ges. vom 28. März 1896 §F 8 Abs. 6. 
18) Dekret, den Entwurf zu einem Wahlgesetze für die zweite Kammer der Ständeversamm- 
lung betr. vom 15. Okt. 1907; Landt.-Akten 1907/08, Dekrete Bd. III S. 37.
	        
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