130 Dritter Abschnitt: Der Landtag. 817.
Das auf solche Weise zustande gekommene „Wahlgesetz für die zweite Kammer der
Ständeversammlung“ wurde unter dem 5. Mai 1909 vom König erlassen. Es verfügt
zugleich in seinem Art. I (51 und 82) die erforderlichen Anderungen am Wortlaut der
§ 68 und 71 der Verf.-Urk. — Ausführungsbestimmungen gibt die Verordnung des Mi-
nisteriums des Innern vom 7. Mai 1909.
§ 17. Das geltende Wahlrecht. Die Wahlen zur zweiten Kammer sind teils all-
gemeine, teils besondere.
Allgemeine sind solche, bei denen sämtliche Mitglieder der Kammer neu zu wählen
sind. Sie gelten auf 6 Jahre. Deshalb finden ordentlicherweise alle 6 Jahre allgemeine
Wahlen statt.1) Außerdem hat das zu geschehen im Falle einer Auflösung der Kammer
durch den König; vgl. unten § 18, I Note 4.
Besondere Wahlen sind vorzunehmen, wenn einzelne Sitze in der Kammer außer
der Zeit besetzt werden müssen. Sie wirken nur auf die noch übrige Dauer der allgemeinen
Wahlperiode.
Das kann notwendig werden, weil bei der allgemeinen Wahl in diesem einzelnen
Wahlkreis die Wahl mißlungen ist, sei es, daß der Gewählte ablehnte, sei es, daß die
Wahl hinterdrein von der Kammer für ungültig erklärt wurde (Nachwahl).2)
Es kann auch deshalb geschehen, weil der regelrecht bestellte Abgeordnete nachher wieder
ausgeschieden ist durch den Tod oder infolge rechtlicher Ausscheidungsgründe
(Ersatzwahl). Solcher Ausscheidungsgründe sind es drei:,)
— Verlust der Wählbarkeit;
— Anstellung im Staatsdienst oder Beförderung in ein höheres Amt oder Übernahme
einer besoldeten Hofdienststelle;
— Ausstrittserklärung, die jedoch während der Dauer des Landtags nur mit Genehmi-
gung der Kammer wirksam ist.“)
Die Rechtsordnung für die vorzunchmende Wahl ist in allen Fällen die gleiche.
übrigen 15 Abgeordnete — eine Unmöglichkeit, welche die Deputation doch wohl nur aus tak-
tischen Gründen mit aufnahm.
4. Verbesserung des geltenden Dreiklassenwahlrechts: jede Klasse soll die auf sie treffenden
Abgeordneten direkt wählen, erste und zweite gemeinsam, die dritte nach Verhältniswahl.
Man wird sagen müssen, daß das Letztgenannte als bloße Fortbildung des Gegebenen einen
gesunden staatsmännischen Gedanken bot. Das Mehrstimmenrecht, das den Sieg davon trug,
ist doch wieder etwas Neues, ein Versuch und ein Sprung ins Dunkle.
1) Auch nach bisherigem Rechte wurde auf 6 Jahre gewählt. Nach Verf.-Urk. #71 (in der
Fassung des Ges. vom 3. Dez. 1868) war die Sache jedoch so eingerichtet, daß alle zwei Jahre der
dritte Teil der Abgeordneten auszutreten hatte (das erstemal und nach einer Auflösung bestimmte
das Los die Ausscheidenden, und zwar sollte die Auslosung des Drittels gesondert vor sich gehen
für städtische und für ländliche Abgeordnete, damit der Zufall nicht auch das Verhältnis zwischen
diesen beiden Gruppen ändere: Verf.-Urk. §& 71 Abs. 2 in der Fassung des Ges. vom 20. April 1892).
Es fanden deshalb alle zwei Jahre für das erledigte Drittel der Sitze Neuwahlen statt, Ergänzungs-
wahlen. Diese Einrichtung ist im Wege der Verfassungsänderung beseitigt worden zugunsten
der regelmäßigen „Totalerneuerung“. Verf.-Urk. & 71 Abs. 1 S. 2 sagt jetzt: „Nach Ablauf der
6 Jahre wird die Kammer neu gewählt.“
2) Vgl. unten III und § 18 Note 13.
3) Verf.-Urk. § 71 Abs. 3 (in der Fassung des Ges. vom 5. Mai 1909 5 2) führt unter c) noch
den Fall einer Auflösung der Kammer durch den König an. Das bedeutet allerdings zugleich einen
Verlust der Abgeordneteneigenschaft für alle Mitglieder; vgl. unten § 18, 1 Note 4. Aber die
Wahlen die daraufhin stattfinden, sind allgemeine.
4) Die Genehmigung gewährt und versagt die Kammer nach freiem Ermessen. Dagegen
entscheidet sie nach Richterart, ob einer der beiden anderen Ausscheidungsgründe vorliegt. Ein
darauf gestütztes Austrittsgesuch muß sie genehmigen. Wenn der Betroffene damit zögert, kann
sie ihrerseits vorgeheen und „die Mitgliedschaft entziehen“ (Wahlges. § 6 u. F 8).