132 Dritter Abschnitt: Der Landtag. §5 17.
— Empfang öffentlicher Armenunterstützung während des bei der Anordnung der
Wahl laufenden oder des vorhergehenden Jahres.5)
3. Das Stimmrecht ist kein gleiches (Wahlges. § 11). Es gibt zahlreiche Stimmberech=
tigte, deren Stimme mehr sach zählt. Einkommensteuerleistung, Grundbesitz, Bildung,
Alter werden dabei berücksichtigt, der Art, daß der einzelne Wähler bis zu vier Stimmen
haben kann, d h., daß seine Abstimmung so viel gilt, als hätten vier einfache Wähler ab-
gestimmt. Diese Gründe des Mehrstimmenrechtes wirken aber nicht selbständig und un-
mittelbar. Vielmehr sind behufs genauerer Abstufung und Zusammenfügung dieser Gründe
mit Rücksicht auf sie die bevorzugten Wähler in drei Klassen eingeteilt: solche mit
zwei, drei und vier Stimmen. Nur der Vorzugsgrund des Alters wirtt selbständig
daneben.“)
Zwei Stimmen haben:
— die ein Einkommen von über 1600 M. versteuern, oder von über 1400 M.,
wenn es aus öffentlichem Amt oder privater dauernder Anstellung oder aus einem Be-
triebe fließt, der den Inhaber wahlfähig macht zur Gewerbekammer oder zum Landes-
kulturrat 10), über 1250 M., wenn dem Wähler zugleich Grundbesitz im Werte von 100
Steuereinheiten:!) zu Eigentum oder gesetzlichem Nutzungsrecht zusteht;
— denen ein der Land= oder Forstwirtschaft dienender Grundbesitz von über
2 Hektar, oder ein der Gärtnerei oder dem Weinbau dienender von über ½ Hektar zusteht;
— die ihre wissenschaftliche Bildung durch die Befähigung zum ein-
jährig-freiwilligen Militärdienst dartun.
Drei Stimmen haben:
— die ein Einkommen von über 2200 M. versteuern oder von über 1900 M.,
wenn es aus einem jener Dienstverhältnisse oder aus einem jener zur Berufsstandsver-
8) Hier war das Wahlges. in der Lage, eine Reihe von Milderungen dieses Ausschlußgrundes
anzubringen, entsprechend dem gerade dem Reichstage vorgelegten Entwurf zum Reichsges. vom
15. März 1909, betr. die Einwirkung von Armenunterstützung auf öffentliche Rechte. Es zählen
nämlich nach § 10 Abs. 2 als Armenunterstützung nicht:
— Krankenunterstützung;
— Anstaltspflege, die einem Angehörigen wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen
gewährt wird;
— Unterstützung zum Zwecke der Erziehung oder Ausbildung für einen Beruf;
— vereinzelte Leistungen zur Hebung einer augenblicklichen Notlage;
— Unterstützungen, die erstattet sind.
9) Dieses „Pluralsystem“ des Ges. vom 5. Mai 1909 K+511 ist immerhin noch ein Rest der
ursprünglichen Regierungsvorlage; vgl. oben § 16 Note 19. Über die Weiterbildung dieses Ge-
dankens bei den Ständen vgl. ebenda, Note 20 u. 21. Man war bestrebt, für das Maß der erforder-
lichen Zusatzstimmen eine Grundlage zu gewinnen mit Hilfe einer angestrengtest arbeitenden
Statistik, welche das zu erwartende Wahlergebnis berechnen mußte. Noch bei der entscheidenden
Verhandlung in der Deputation der I. Kammer hatte der Berichterstatter für den schließlich durch-
gedrungenen Vorschlag nur zwei bevorzugte Wählergruppen angenommen und die Höchstzahl
der zu vereinigenden Stimmen mit 3 angesetzt. Er bemerkte jedoch: es seien ihm „in diesem Mo-
mente statistische Mitteilungen behändigt worden, welche . das Resultat ergeben würden, daß
629 240 nichtsozialistischen Stimmen 622 880 sozialistische gegenüberständen“". Es wurde deshalb
sofort eine Anderung der Skala in Aussicht genommen (Landt.-Akten 1908/09 Ber. d. I. K.
Bd. 1 S. 23). Das führte dann zur Einschiebung einer neuen Stufe und zur Erhöhung der Ge-
samtstimmenzahl auf 4/(ebenda, S. u. 10). — Der Vorbehalt, den der Berichterstatter dabei machte
wegen der Zuverlässigkeit solcher Statistik, war gewiß berechtigt. Man kommt in solchen Dingen nicht
darum herum, einen „kühnen Griff“ tun zu müssen.
10) Ges. vom 4. Aug. 1900, die Handels- und Gewerbekammern betr., § 8; Ges. vom 30. April
1905, den Landeskulturrat betr., § 5 Abs. 3.
11) Die Grundsteuer wird, gemäß Ges. vom 9. Sept. 1843, nach Grundsteuereinheiten auferlegt.
Je 1 M. Reinertrag entspricht einer Steuereinheit. Vgl. Ausf.-Verord. vom 7. Mai 1909 5 44 Absl. 2.