817. Das geltende Wahlrecht. 135
III. Die vorzunehmenden Wahlen werden jedesmal vom Ministerium des Innern an-
geordnet unter Anberaumung des Tages, an dem sie stattfinden sollen. )
Der Wahlvorsteher macht alsdann die Abgrenzung des Wahlbezirkes sowie Ort und Zeit
der Wahl in ortsüblicher Weise bekannt. Die einzelnen Stimmberechtigten sollen überdies
durch die Ortsbehörde schriftlich eingeladen werden.5)
Der Wahlvorsteher ernennt drei bis sechs Wähler des Bezirks zu Wahlgehilfen und
einen Protokollführer. Diese bilden unter seinem Vorsitz den Wahlvorstand.
Die Wahl geschieht mittels Stimmzetteln,, welche die Wähler in einem verdeckten
Raum „unbeobachtet“ in einen amtlich gestempelten Umschlag stecken und dann am Tisch
des Wahlvorstandes dem Wahlvorsteher überreichen. 15) Die Umschläge erhalten sie
ausgehändigt, und zwar sind diese je nach der dem Wähler zukommenden Stimmenzahl
von blauer, grüner, gelber oder weißer Farbe und entsprechend gezeichnet mit den Buch-
staben A bis D. Blau und 4 bedeuten vier Stimmen, Grün und B drei usw. Die Ab-
stimmung wird nur entgegengenommen, wenn der Name des Wählers in der Wählerliste
aufgefunden ist und die dort verzeichnete Stimmenzahl der Farbe des Umschlags entspricht.
Stimmzettel ohne diesen amtlichen Umschlag oder in besonders gekennzeichnetem Umschlag
werden zurückgewiesen.20)
Nach Schluß des Wahlaktes findet die Auszählung statt, wobei die den verschieden-
farbigen Umschlägen entnommenen Stimmzettel sorgfältig getrennt zu halten sind.21)
Die Stimmzettel müssen von weißem Papier sein, dürfen kein äußeres Kennzeichen tragen
und müssen einen wählbaren Kandidaten zweifelsfrei mit seinem Namen bezeichnen.
Sonst sind sie ungültig. Der Wahlvorstand entscheidet darüber.2)
In dem aufzunehmenden Protokolle wird angegeben (Wahlges. § 26):
— die Zahl der abstimmenden Wähler;
17) Wahlges. § 39 Abs. 1. Diese „Wahlausschreiben“ erscheinen im Ges.= u. Verord.-Bl.
und führen dort den nicht ganz zutreffenden Namen „Verordnung" (Beispiel: Ges.= u. Verord.-Bl.
1907 S. 117); vgl. unten § 22, II, Nr. 3.
18) Das ganze im Wahlges. §5§ 20—38 geordnete Verfahren ist, wie es bisher schon der Fall
war, dem Reichstagswahl-Verfahren angepaßt; Besonderheiten ergibt nur das Mehrstimmenrecht.
19) Diese Wahl ist insofern geheim, als der Inhalt der Willenserklärung des einzelnen
Wählers nicht unterscheidbar sein soll. Die Wahlhandlung, d. h. der äußere Vorgang dieser Er-
klärungen, ist öffentlich, insofern die Wähler des Wahlkreises befugt sind, ihr anzuwohnen, soweit
der Raum reicht (Wahlges. § 33).
20) Wahlges. §J 23 Abs. 3. Das Reichstagswahl-Reglement (Bekanntmachung vom 28. April
1903) § 15 Abs. 3 fügt hinzu: „ebenso die Stimmzettel solcher Wähler, welche sich in den Neben-
raum oder an den Nebentisch nicht begeben haben.“ Nach dem sächsischen Rechte wird also der
Wahlvorsteher nicht darauf zu achten haben, woher der Mann kommt, der mit einem richtigen Um-
schlage vor ihm steht. Die vorgeschriebene Benutzung des verdeckten Raumes wird durch die der
Polizei des Wahllokales dienenden Leute ausreichend gesichert. Sollte ein Wähler einmal durch-
schlüpfen, so hat dies Rechtsnachteile nicht zur Folge.
21) Bei den Beratungen der Deputation der II. Kammer hatte man es für notwendig gehalten,
für jede Wählerklasse — die vierstimmige und die einstimmige — eine besondere Urne aufstellen
zu lassen, damit ja keine Irrtümer vorkämen; denn die den verschiedenfarbigen Umschlägen ent-
nommenen Wahlzettel lassen, einmal durcheinander gebracht, nicht mehr erkennen, daß sie ver-
schiedenwertig sein wollen. (Landt.-Akten 1908/09 Ber. d. II. K. Bd. 3 S. 121). Die Regierung
glaubte aber, in der Ausführungsverordnung durch genauere Vorschriften über die Behandlung
der eröffneten Zettel genügende Sicherheit schaffen zu können. Zu diesem Zwecke bestimmt jetzt
Ausf.-Verord. § 18, daß die gleichfarbigen Umschläge miteinander zu eröffnen sind, zuerst die
weißen, und zu einer anderen Farbe immer erst übergegangen werden darf, wenn das Ergebnis
der vorhergehenden festgestellt ist.
22) Wahlges. § 25 Abs. 1. Finden sich in einem Umschlage mehrere Stimmzettel vor, so gelten
sie, wenn auf einen Namen lautend, für diesen; wenn sie auf verschiedene lauten, sind sie un-
gültig: Wahlges. § 22 Abs. 10 (übereinstimmend mit Reichstagswahl-Reglement § 19 Abs. 2).