83. Verfassungsausbildung. 5
Von sonstigen nicht inkorporierten Ländern sind zu erwähnen: Fürstentum Querfurt, gefürstete
Grafschaft Henneberg (anteilig mit ernestinischen Häusern), Vogtei und Herrschaft Treffurt (anteilig
mit Kurmainz). —
Die ganze Gebietsmasse, Erblande wie nicht inkorporierte Länder, stehen im Lehnsver-
band, die Lausitzen zur Krone Böhmen, die Hauptmasse zum Kaiser als Oberhaupt des Reichs.
Bis zur Auflösung des Reichs wird bei jedem Lehnsfall die Beleihung gewissenhaft eingeholt.
Sie geschieht an den hierzu geschickten Gesandten, im camera und mittels des kaiserlichen Schwertes.“)
Der Kurfürst von Sachsen hat als solcher die dritte weltliche Kur würde und Sitz
und Stimme im Kurfürstenkollegium. Außerdem ist er auch noch stimmberechtigt im Reichsfürsten-
rat. Aber während andere, vor allem der Kurfürst von Brandenburg, hier sehr reichlich ausgestattet
erscheinen, weil jedes Gebiet ein besonderes Stimmrecht verleiht, kommt Sachsen verhältnismäßig
schlecht weg. Denn seine Vergrößerungen fielen zu allermeist in eine Zeit, wo für das Stimm-
recht im Reichstag noch das Personalprinzip galt, also jeder Fürst, ohne Rücksicht auf die Zahl der
Gebiete, die er vereinigte, nur eine Stimme erhielt, im Gegensatze zu dem erst später ausgekommenen
Territorialprinzip.5) So kam es, daß Sachsen im Reichsfürstenrat nur stimmberechtigt war für
die Grafschaft Barby auf der westfälischen Grafenbank und für die Grafschaf Henneberg auf der
fränkischen, auch dieses nur abwechselnd mit den Mitbesitzern.
Dafür hatte der Kurfürst in mehrfacher Hinsicht besonders bevorzugte Stellungen in Reichs-
angelegenheiten, die zum Teil geeignet erscheinen konnten, eine weitere Machtentwicklung zu
befördern.
Dahin rechnen wir nicht das mit der Kurwürde verbundene Reichserzmarschallamt.
Das wollte wohl ursprünglich Ernsthaftes bedeuten. Zuletzt vermochte man als seinen Inhalt nur
anzugeben „die Gerichtsbarkeit über die Hof= und Feldtrompeter, auch Hof= und Heerpauker des
deutschen Reichs“ und die äußere Polizei der Reichstagsversammlungen, wegen deren mit der be-
treffenden Stadtobrigkeit zu streiten war.
Bedeutsamer schien zu sein:
1. das Reichsvikariat beim Tode des Kaisers bis zur Neuwahl; es steht nach der Goldnen
Bulle cap. V für die Länder des sächsischen Rechts dem Kurfürsten von Sachsen, für das übrige
dem Pfalzgrafen bei Rhein zu; "
2. das Amt eines ausschreibenden Fürsten oder Kreisdirektors für
den obersächsischen Reichskreis. Da dieser Kreis zugleich Kurbrandenburg umfaßte, so wurde auch
diese Stellung nicht fruchtbar;
3. die Direktion desprotestantischen Religionskörpersim Reichs-
tag, des corpus evangelicorum. Seit 1531 tatsächlich geführt, nachher durch Kurpfalz und später
Schwedern für längere Zeit abgenommen, wurde diese Stellung durch den Konfessionswechsel des
Kurfürsten schließlich ganz bedeutungslos.
§ 3. Das Königreich Sachsen. Verfassungsausbildung. Im Juli 1806 wurde der Rheinbund
gegründet; am 6. August legte Kaiser Franz II. die Kaiserkrone nieder. Das Reich war aufgelöst,
Sachsen in aller Form souverän geworden; vergebens drang man in den Kurfürsten Friedrich
August, daß er, dem Beispiele der süddeutschen Fürsten folgend, den Königstitel annehme. Aber
nach der Schlacht bei Jena, die er an Preußens Seite mitgemacht hatte, wurde Sachsen von Napo-
leon zu deim Posener Frieden vom 11. Dezember 1806 gezwungen; die Annahme des Königs-
titels war eine seiner Bedingungen. Am 20. Dezember erfolgte die feierliche Proklamation. Im
übrigen mußte Sachsen dem Rheinbund beitreten, erhielt dabei den preußischen Kreis Kottbus,
verlor aber dafür ein größeres Stück Gebiet an das neue Königreich Westfalen. Nach der
Schlacht bei Leipzig wurde Sachsen von den Alliierten in Besitz genommen und unter ein General-
gouvernement gestellt. Die Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 teilte das Land. Die
4) v. Hellfeld, Beiträge z. Staats-R. u. d. Geschichte v. Sachsen 1 S. 143, gibt einen an-
schaulichen Bericht über eine solche Belehnungsfeierlichkeit. Die Gesandten der Sächsischen Häuser
hatten dabei viel und auf vielerlei Art zu knien.
5) Auch für dic erst nachher erworbene Lausitz gab es keine weitere Stimme. Sie hatte über-
haupt eine ganz unregelmäßige Stellung. Der Kaiser hatte nämlich die Krone Böhmens, zu der
#ie gehörte, geflissentlich „,aus aller Verbindung mit dem deutschen Reiche gesetzt“. Deshalb war sie
auch, gleich den übrigen Ländern der böhmischen Krone, in der deutschen Kreisverfassung nicht mit-
begriffen worden. Folglich wurde für sie auch kein Kontingent zum Reichsheer gestellt und wurden
keine Römermonate bezahlt. Noch Ende des 18. Jahrhunderts wurde in der Literatur die Frage
aufgeworfen, ob sie überhaupt zu Deutschland gehöre. Es gab auch eifrige Federn, die dem Kur-
fürsten von Sachsen darin ein souveränes Besitztum zusprechen wollten, ähnlich wie der Kurfürst
von Brandenburg ein solches im Herzogtum Preußen erworben hatte.