8 18. Die Versammlung des Landtages und sein Geschäftsgang. 141
dem man sich in dem ersten Jahre mit einem von der Regierung vorgelegten Ent-
wurfe beholfen hatte, der als „provisorisch gültig“ behandelt wurde, kam die Land-
tagsordnung vom 8. Oktober 1857 zustande, als förmliches Gesetz erlassen und im
Gesetz-- und Verordnungsblatt bekanntgemacht. Sie zählte nicht weniger als 158 Para-
graphen und ging sehr ins einzelne. Aus dem Bewußtsein heraus, daß dadurch die Volks-
vertretung allzusehr in ihrer freien Bewegung eingeschränkt war, schritt man zu einer Re-
vision durch das Gesetz vom 12. Oktober 1874, welches nur mehr 39 Paragraphen umfaßt.
Als Gesetz ist auch die Landtagsordnung für die Stände unverbrüchlich, soweit sie nicht
selbst Abweichungen gestattet. Das tut sie aber (wie auch schon die frühere getan hatte)
in ihrer Schlußbestimmung, §s 39, durch einen allgemeinen Vorbehalt. Danach kann jede
Kammer im Einzelfalle von diesen Vorschriften abweichen, wenn
— die Staatsregierung durch ihre beteiligten Vertreter zustimmt, und
— nicht mindestens 10 Mitglieder widersprechen.
Die Landtagsordnung hat sich dann weiter in § 1 und in § 39 Abs. 2 wieder auf eine
Ergänzung bezogen, die sie erhalten soll „im Wege der Geschäftsordnung der
einzelnen Kammern“. Solche Geschäftsordnungen sind alsdann von beiden Kammern,
in einer gewissen Anlehnung an die des Reichstags und der Preußischen Kammer, auf-
gestellt worden. Diese Geschäftsordnungen sind keine Verordnungen, enthalten keine
Rechtssätze und beruhen nicht auf einer den Kammern etwa zustehenden Autonomie. Sie
beruhen einzig auf der einer jeden Versammlung zustehenden Macht, ihre eigene Tätigkeit
und damit das Verhalten ihrer Mitglieder zu regeln. Die einzelnen Mitglieder sind da-
durch gebunden, sofern die Befolgung dieser Regeln die Bedingung der Anerkennung
ihrer Tätigkeit ist und der Ausübung der Mitgliedschaft überhaupt. Die Versammlung
selbst ist nur moralisch gebunden, indem sie ohne triftigen Grund nicht wohl von dem, was
sie als richtig erklärt hat, abgehen kann. Rechtlich ist sie nicht so gebunden, wie wenn es
sich um verordnungsmäßige oder autonomische Rechtssätze handelt. Sie kann vielmehr
im Einzelfall ihre Ordnung durch denselben Mehrheitsbeschluß, der sie geschaffen hat,
auch wieder durchbrechen. Das ist auch dann der Fall, wenn die Geschäftsordnung selbst
für gewisse Abweichungen Einstimmigkeit gefordert oder den Widerspruch einer gewissen
Minderheit als ein unbedingtes Hindernis bezeichnet hat. 12) —
in Sachsen hat man aus dem Rechte der Kammern, „als Korporation im Staate aufzutreten“
alsbald allerlei Folgerungen zu ziehen gesucht für diese Autonomie (Milhauser, Staats-R. I,
S. 175). In Wahrheit war aber das, was die Verf.-Urk. unter dem Namen „Landtagsordnung“
verlangte, durchaus nicht im Sinne parlamentarischer Selbstgesetzgebung gedacht. Landtagsord-
nungen waren in der Sächsischen Verfassungsgeschichte nichts Neues. Sie beruhten teils auf Her-
kommen, welches der Landesherr anerkennt, teils auf seinen eigenen Dekreten nach „Gutachten“
der Stände (Weiße, Sächs. Staats-R. I S. 98). Wichtig war vor allem die mit Dekret vom
11. März 1728 veröffentlichte Landtagsordnung, und sodann das Dekret an die Landstände, die
Land= und Kreistagsordnung betreffend, v. 16. Oktober 1820. Das letztere gab auf Grund ein-
gereichten Gutachtens einer getreuen Landschaft allerlei neue Bestimmungen über Zusammen-
setzung und Verfahren des Landtags. Dementsprechend sieht auch die Ständische Schrift, den
Verfassungs-Entwurf betreffend, v. 19 Juli 1831, die angekündigte Landtagsordnung wesentlich
als ein königliches Dekret an, über welches die Stände zu hören seien. Sie wünscht, daß es der
jetzigen Ständeversammlung nur mitgeteilt werde, wenn dadurch keine Verlängerung der Dauer
des Landtags entsteht; den nächsten — ersten verfassungsmäßigen — Ständen könne es „pro-
visorisch füglich zur Norm dienen“ (Landt.-Akten 1831 Bd. IV S. 1794). — Das ist noch ganz
die alte Zeit. Daß man nachher die Sache in Form eines Gesetzes gebracht hat, bedeutet einen
Übergang in die neue.
12) A. M. Opitz, Staats-R. II S. 180, der diese Geschäftsordnungsbestimmungen schlecht-
hin für rechtlich bindend ansieht. Eine solche Gebundenheit wird sich aber juristisch nicht erklären