Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

8 20. Gesetzgebung und Bewilligung. 159 
  
mit Gesetzeseigenschaft im ursprünglichen Sinne, sie werden in Sachsen, wie überall, 
den verfassungsmäßigen Gesetzen gleichgeachtet.?) Andrerseits schließt diese Gebunden- 
heit auch aus eine Durchbrechung des Gesetzes im Einzelfall. Privilegien und 
Dispensationen wurden schon im alten Recht, wenn nicht selbst als Gesetze, so 
doch als „Ausflüsse der gesetzgebenden Gewalt“ behandelt. 10) Sofern sie nicht im Gesetze 
selbst vorgesehen sind, können sie nur geschehen auf Grund eines neuen Gesetzes, also jetzt 
mit ständischer Zustimmung. Alles das macht es aus, was man die Unverbrüch- 
lichkeit des Gesetzes, die formelle Gesetzeskraft nennt. Durch diese Ein- 
richtung ist die Wahrung des Landesrechts nicht bloß Berufs= und Amtspflicht der Re- 
gierung, sondern die an der Gesetzgebung beteiligte Volksvertretung hat ein Recht darauf 
und kann die Regierung zur Verantwortung ziehen, wenn sie eine Verletzung vornimmt 
oder duldet. So sichert der Verfassungsstaat gleichzeitig die Grundlagen des Rechtsstaates. 
II. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß die einmal gegebene Form des verfassungs- 
mäßigen Gesetzes auch andern Zwecken dient, als wozu sie eigentlich und ursprünglich 
bestimmt ist. Dergleichen kann, wie wir gesehen haben, in nebensächlicher Weise mit den 
aufgestellten Rechtssätzen sich verbinden (vgl. oben Note 8). Bei Durchbrechung des Ge- 
setzes mit Privilegien und Dispensationen ist die Einhaltung der Form sogar notwendig 
(ogl. oben Note 10), obwohl man doch, ihrem Inhalt nach, höchstens sagen kann, daß sie das 
Gesetz für diesen Einzelfall ersetzen. Aber noch darüber hinaus empfiehlt sich unter Umständen 
diese Form durch die ihr eigene eindrucksvolle Feierlichkeit zu allerlei Kundge- 
bungen und Erklärungen (vgl. unten Note 16). Namentlich aber besteht die Möglichkeit, 
die in dem Verfahren zur Schaffung des Gesetzes enthaltene Einigung zwischen 
Regierung und Volksvertretung um ihrer selbst willen zu benutzen, also 
in Form eines Gesetzes, ohne die Absicht, Vorschriften für die Untertanen zu erlassen und 
Rechtssätze aufzustellen, nur kund zu tun, daß die Volksvertretung damit einverstanden ist, 
wenn die Regierung in bestimmter Weise verfährt. Das hervorragendste Beispiel dafür 
bildet das preußische Etatsgesetz und, ihm nachgebildet, das Reichshaushaltsetatsgesetz 11) 
Das sächsische Recht hat im Gegensatze dazu den Zusammenhang mit dem ursprüng- 
9) Leuthold, Sächs. Verw--KR'. S. 25, gibt einen Uberblick solcher älterer Bestimmungen. 
Zu der Lehre von der Nachwirkung alten Rechtes im allgemeinen ogl. Otto Mayer, Deutsch. 
Verw.-K. 1 S. 120, 121; Thomas, Der Polizeibefehl im Bad. Recht S. 107 ff. 
10) Weiße, Staats-R. II S. 11; v. Römer, Staats-R. u. Statistik II S. 336, 364 ff. 
II) Wenn man eigensinnig daran hält, auch hier überall Rechtssätze nachzuweisen, so leidet 
entweder die richtige Auffassung der Bedeutung dieser Willenserklärungen Not oder der Begriff 
des Rechtssatzes. Solchen Verirrungen vorzubeugen, ist das Verdienst der namentlich von La- 
band verfochtenen Lehre vom Gesetzim formellen Sinne (Staats-R. des Deutsch. Reichs 
Dd. II S. 55 ff.). Opitz, Staats-R. II S. 84 Note 8, wird ihr nicht gerecht, wenn er spricht 
von „Aufstellung neuer Theorien auf der unzulänglichen Basis einer schiefen Ausdrucksweise."“ 
Richtig ist, daß für Sachsen dieser Unterscheidung kaum eine große Bedeutung zukommt. Pri- 
vilegien und Dispensationen in Gesetzesform, bei denen die Sache zweifelhaft 1# kann — und 
mmer zweifelhaft war, denn ganz echte Gesetze sollten sie ja nicht sein und doch dazu gehören — 
spielen tatsächlich keine Rolle. Der einzige unleugbare Fall eines Gesetzes im formellen Sinne 
wird der sein, den Verf.-Urk. § 10 vorsieht: Der König kann die für seinen Nachfolger erforderlich 
werdende außerordentliche Regierungsverwesung im voraus durch ein „Staatsgesetz“ ordnen. 
(Auf die Einzigheit dieser Bestimmung verweist auch Leuthold, Staats-R. S. 197.) Das 
ist abgeschrieben der Württ. Verf.-Urk. § 13, wo es sogar heißt: durch ein „förmliches Staatsgesetz“. 
Hat man dabei an ein Privilegium gedacht, an ein Sonderrecht, welches für den betreffenden 
Prinzen geschaffen würde? Jedenfalls erfolgt nach der Sächsischen, wie nach der Württember- 
gischen Verfassung die gleiche Maßregel, wenn sie für den regierenden König notwendig wird, 
in Form eines „Beschlusses“ (Verf.-Urk. & 11). Opitz, a. a. O. erklärt: jenes „Staatsgesetz“ 
sei „offenbar nur ein Verwaltungsakt, also überhaupt kein Gesetz“, und hält es für un-
	        
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