Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

20. Gesetzgebung und Bewilligung. 163 
  
Diesem Falle steht der andere gegenüber, wo kein Gesetz versprochen wird, aber für ge- 
wisse Maßregeln um ihres Inhalts willen, wenn sie überhaupt vorgenommen werden 
sollen, ein Gesetz ergehen soll. Das bedeutet dann, daß diese Maßregel dem Gesetze vor- 
behalten ist, nur kraft Gesetzes, also mit Zustimmung der Stände geschehen kann. 
Auch solche Vorbehalte finden sich vor allem in der Verfassungsurkunde selbst: § 10, 5 27, 
5 28, 5 30, F531, § 32, § 33, § 37, § 48, 5 51, § 56.185) Aber auch einfache Gesetze können 
dergleichen aufstellen. 15) Die rechtliche Bedeutung ist hier nicht die eines Versprechens, 
daß ein Gesetz dieses Inhalts ergehen solle, sondern die eines Verbotes der bezeichneten 
Maßregeln ohne das erlangte Gesetz. Sie bedürfen der gesetzlichen Grundlage. 
Der Schwerpunkt liegt dabei in der durch die Form des Gesetzes geforderten Mitwir- 
kung der Stände. Als das Regelmäßige muß auch erwartet werden, daß dieses 
Gesetz als allgemeine Vorschrift, als Rechtssatz auftrete, wie es seiner Natur ent- 
spricht. 
Doch darf man in beiderlei Hinsicht die Sache nicht allzu formalistisch nehmen. 
Dem Vorbehalte des Gesetzes ist auch genügt, wenn unter Zustimmung der Stände 
eine allgemeine Vorschrift ergeht, welche das Nähere der Verordnung oder der obrig- 
keitlichen Einzelverfügung überläßt, oder gar die ganze Regelung eines gewissen Gegen- 
standes der Verordnung in Bausch und Bogen überträgt. Dem Gesetze ist dann sein 
Teil doch geworden.20) 
Und andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß dem gemachten Vorbehalte auch ge- 
nügt wird durch eine in Form des Gesetzes erlassene Anordnung, die nicht die Natur einer 
allgemeinen Vorschrift, eines Rechtssatzes trägt. Das ist ganz klar da, wo etwa die 
dem Gesetze vorbehaltene Maßregel ihrem Wesen nach nichts anderes ist und sein soll als 
eine Verfügung, eine Maßregel für einen bestimmten Einzelfall.21) Auch sonst wäre es 
verfassungsmäßig zulässig, die dem Gesetze vorbehaltene Einwirkung in Form eines 
Gesetzes für den Einzelfall zu machen, durch Spezialgesetz, Privilegium, oder wie man es 
18) Die wichtigsten Vorbehalte dieser Art finden sich im dritten Abschnitt der Verf.-Urk. unter 
der Überschrift: „Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Untertanen.“ Das sind die sog. 
Menschenrechte, Freiheitsrechte, Grundrechte, wie sie in anderen Verfassungen bezeichnet werden. 
Ihre Bedeutung liegt nicht darin, dem Einzelnen ein unantastbares Freiheitsgebiet zu sichern 
gegenüber der Staatsgewalt überhaupt. Sondern der Schutz liegt lediglich in der verhältnis- 
mäßigen Erschwerung des staatlichen Eingriffes. Wichtig vor allem Verf.-Urk. &J 27: „Die Freiheit 
der Personen und die Gebahrung mit dem Eigentum find keiner Beschränkung unterworfen, als 
welche Gesetz und Recht vorschreiben.“ 
19) Beispiel: Gesetz vom 25. August 1876, die Landes-Immobiliar-Brandversicherungskasse 
betr., bestimmt in §# 54, daß die zunächst durch Ministerialverordnung aufzustellenden Beitrags- 
llassen nachher nur durch Gesetz abgeändert werden können. 
20) In diesem Sinne sagt Leuthold, Staats-R. S. 196, mit Recht, es sei hier „die Ge- 
se besform verfassungsmäßig vorgeschrieben“, von allen Fällen, wo die Verfassung 
ein Gesetz verlangt. Opitz, Staats-R. II S. 86 Note 3 meint dagegen: er mache es sich offenbar 
zu leicht, es könnten auch „ohne ständische Zustimmung erlassene gesetzliche Verfügungen“ ge- 
nügen, also Verordnungen. Dieses letztere ist zwar richtig, wäre aber nur dann bedenklich und in 
Widerspruch mit Leutholds Satz, wenn man für Sachsen, entsprechend dem, was Arndt für Preußen 
behauptet hat, ein selbständiges Verordnungsrecht praeter legem annehmen dürfte; das 
trifft aber ja nicht zu (vgl. unten § 22 Note 26). Folglich ist in allen solchen Fällen das erste und 
notwendigste immer das Gesetz und der Umfang des Verordnungsrechtes und sein Anwendungs- 
gebiet — vom Ausnahmefalle der Notverordnung abgesehen — abhängig vom Gesetz, an dem es 
hängt, und vom Willen der Volksvertretung. Die Schwierigkeiten, die Opitz von Leuthold 
umgangen glaubt und mit denen er a. a. O. S. 86 seinerseits ausführlich kämpft, scheinen mir 
nicht vorhanden zu sein. 
21) Das ist der Fall der Verf.-Urk. § 10; vgl. oben Note 11. 
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