Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

164 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 8 21. 
  
nennen will. Tatsächlich geschieht es nicht, und es ist sicher auch im Geiste der Verfassung, 
daß das Gesetz seiner wesentlichen Bestimmung getreu, wenn irgend möglich nur in 
Rechtssatzweise auftrete.2) 
§ 21. Das Gesetzgebungsverfahren. Unter Gesetzgebung verstehen wir die Tätigkeit 
zur Hervorbringung eines Gesetzes. Sie vollzieht sich in einem geordneten Verfahren, 
das man wohl auch als den Weg der Gesetzgebung bezeichnet. 
Bei einer gewissen Art von Gesetzen, den verfassungändernden Ge- 
setzen, erleidet dieses Verfahren Abweichungen. 
Das sind nach der in Verf.-Urk. § 152 gegebenen Bezeichnung solche Gesetze, die Ab- 
änderungen, Erläuterungen oder Zusätze zu den Bestimmungen der Verfassungsurkunde 
enthalten. Sie brauchen dann ihrerseits nicht notwendig neue Bestimmungen zu treffen; 
das verfassungändernde Gesetz kann sich z. B. darauf beschränken eine vorgefundene Ver- 
fassungsbestimmung für aufgehoben zu erklären.1) Insofern sie neue Bestimmungen 
treffen, ist es denkbar, daß diese einfach in die Reihe der mancherlei Gesetze treten, die auch 
sonst dazu dienen, die Anordnungen der Verfassungsurkunde zu ergänzen und durch- 
zuführen, ohne deshalb die Natur einfacher, im gewöhnlichen Verfahren abänderbarer 
Gesetze aufzugeben.:) Das verfassungändernde Gesetz hat aber auch die Fähigkeit, seinen 
Bestimmungen die bevorrechtete Natur und erschwerte Abänderbarkeit zu verleihen, 
welche nach Verf.-Urk. & 152 den Bestimmungen der Verfassungsurkunde zukommt. Daß 
es das will, pflegt es mit unzweideutigen Worten zum Ausdruck zu bringen. 3) Ein solches 
Gesetz ist dann nicht bloß verfassungändernd, sondern selbst wieder Verfassungsgesetz. 
Unter diesem Namen wird die Verfassungsurkunde, die ja seiner Zeit als Gesetz veröffent- 
22) Wenn Verf.-Urk. §J 27 (vgl. oben Note 19) nur Beschränkungen zuläßt, welche „Gesetz 
und Recht“ vorschreiben, so ist damit natürlich nicht, wogegen Leuthold, Staats-R. S. 197, 
sich verwahren zu müssen glaubt, die Zulässigkeit von Beschränkungen „im Wege der Verwaltungs- 
verordnung" neben denen im Wege des Gesetzes angedeutet. Aber auch an die Beibehaltung 
der überkommenen gewohnheitsrechtlichen Beschränkungen, auf welche Leuthold den Zusatz 
„und Recht“ bezieht, ist sicher nicht gedacht. Daß das bestehende Recht fortbesteht, ist selbstver- 
ständlich. Vielmehr ist mit dem schwungvollen Doppelworte „Gesetz und Recht“ nur ein Begriff 
gemeint: das rechtschaffende Gesetz. Das könnte dem alten Sinne des Wortes entsprechend auch 
gesetzliche Privilegien und Dispensationen für Einzelfälle begreifen. Aber es ist mir nicht gelungen, 
im Gesetz= und Verordnungsblatt ein Beispiel dafür zu finden. 
1) In der sächsischen Gesetzgebung findet sich dafür kein Beispiel; bei Aufhebung von Ver- 
fassungsbestimmungen ist immer zugleich neues Recht, und zwar immer auch Verfassungsrecht 
geschaffen worden. Vgl. die Zusammenstellung der bis 1902 ergangenen 12 Verfassungsänderungen 
bei Binding, Staatsgrundgesetze Heft VI S. 2—5. 
2) Das Ges. vom 31. März 1849, die Abänderung der §ss§s 85 und 120 der Verfassungsurkunde 
betreffend, setzte an die Stelle dieser beiden Verfassungsbestimmungen neues Verfassungsrecht 
für ständische Initiative und Tagegelder der Kammermitglieder. Zu dem ersteren Punkt erging 
dann gleichzeitig „in weiterm Verfolg der unterm heutigen Tage verfügten Abänderung des 85 
der Verfassungsurkunde“ ein Gesetz zu genauerer Regelung des Verfahrens. Durch die Sonderung 
wird deutlich genug zu erkennen gegeben, daß diese letzteren Vorschriften nicht den Bestimmungen 
der Verfassungsurkunde gleichwertig sein sollen; für das zweite Gesetz, das sie gab, war auch die 
Beobachtung des besonderen Verfahrens für Verfassungsänderung nicht notwendig. Aber 
ganz der gleiche Erfolg wäre auch unter Beobachtung dieses Verfahrens zu erreichen ge- 
wesen: man konnte die genaueren Vorschriften für die Gesetzesvorschläge der Stände in dem ver- 
fassungändernden Gesetze selbst bringen, etwa einfach fortfahrend nach den Paragraphen, welche 
die neuen Verfassungstexte feststellen, und dabei sagen, daß nur diese als Bestandteile der Ver- 
Hosenhcnscsen zu gelten haben. — Opitz, Staats-R. II S. 286 Note 3, hält die Frage für 
zweifelhaft. 
3) Die erste Verfassungsänderung, Ges. vom 19. Juni 1846, bediente sich keiner ausdrück- 
lichen Formel, gibt aber durch Vortrag dessen, was zur „Erwägung" gekommen war, zu erkennen, 
daß es sich nur um Berichtigung eines beim vorgelegten Entwurf der Verfassungsurkunde unter-
	        
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