Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

168 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 8 21. 
  
Ablehnung mit einer geringeren Mehrheit wird also hier als Annahme ge- 
rechnet. 100 — 
Eine besondere Regelung erhält die Beschlußfassung der Kammern für den Fall, daß 
es sich um ein verfassungänderndes Geset handelt (Verf.-Urk. § 152). Zu 
einem annehmenden Beschlusse ist hier in jeder Kammer erfordert: 1 
— eine besondere Prüfungsziffer: Anwesenheit von drei Vierteln der 
verfassungsmäßigen Mitgliederzahl; 
— eine besondere Mehrheit; zwei Drittel der Anwesenden müssen zustimmen. 
Handelt es sich nicht um eine Vorlage der Regierung, sondern soll die Anderung durch 
Gesetzesvorschlag der Stände an den König herbeigeführt werden, so ist dazu notwendig, 
daß die in solcher Weise von beiden Kammern übereinstimmend gefaßten Beschlüsse in 
einer ordentlichen Ständeversammlung (vgl. oben § 18, I Nr. 2) gefaßt und geradeso 
gelegentlich des darauffolgenden ordentlichen Landtages wiederholt werden. Erst 
dann kann der Antrag auf Verfassungsänderung an den König gehen. 
3. Die Verf.-Urk. bestimmt in § 86: „Kein Gesetz kann ohne Zustimmung 
der Stände erlassen werden“, §5 87: „der König erläßt und pro- 
mulgirt die Gesetze, mit Bezug auf die erfolgte Zustimmung 
der Stände“.1) Der Erlaß des Gesetzes ist das Ziel des ganzen Verfahrens. Wenn 
das Gesetz bezeichnet wird als „eine allgemeine Vorschrift, zu deren Beobachtung die Unter- 
10) Verf.-Urk. J 92. — Wenn Verf.-Urk. § 131 statt auf diesen § 92 auf & 128 verweist, so 
will das Milhauser, Staats-R. 1 S. 193 Note 1 als einen Redaktionsfehler bezeichnen. 
Allein &+ 128 verweist ja dann wieder auf § 92. Die Sache ist in Ordnung. — Fricker, Grundriß 
S. 156, nennt diese Bestimmung einen „höchst eigentümlichen Satz“. Es ist mir nicht ersichtlich, 
woher er entnommen ist; die sonst als Vorbilder benützten Verfassungen enthalten nichts dergleichen, 
ebensowenig die Entwürfe Carlowitz und Lindenau. Erst in dem den Ständen vorgelegten 
Regierungsentwurf erscheint die Bestimmung als § 106. Die Urheberschaft gebührt dem Geheimen 
Rat. Er hielt es für notwendig, das Verfahren der Stände mit vorgelegten Gesetzentwürfen ge- 
nauer zu regeln, und beantragte namentlich Bestimmungen dahin: „daß wenn beide Kammern 
über einen Gesetzesvorschlag unter sich dissentieren, sie eine gemeinschaftliche Deputation 
zur Conciliation der Meinungen niedersetzen könnten“, und: „daß, wenn der Dissensus nicht 
gehoben werden kann, zur Verwerfung des Gesetzesvorschlags in jeder Kammer zwei Drittel 
ver Stimmen nötig sind“ (v. Witzleben, Die Entstehung der konstitutionellen Verfassung 
188). 
Diese Begünstigung des Zustandekommens der Annahme des Entwurfsgilt nicht für von Kammer- 
mitgliedern eingebrachte Entwürfe (Opitz, Staats-R. II S. 230 Note 6); da sie sich an das 
Vereinigungsverfahren knüpft, so ist sie bei unfrer Annahme, daß dieses hier nicht stattfindet, des- 
halb schon ausgeschlossen. — Ferner: der Wortlaut des §+ 92 Verf.-Urk. („so ist zur Verwerfung 
des Gesetzesvorschlags erforderlich, daß in einer der beiden Kammern wenigstens zwei Drittel 
der Anwesenden für die Verwerfung gestimmt haben“,) kann irreführen; noch mehr der oben an- 
geführte Text des Gutachtens des Geheimen Rates („in jeder Kammer zwei Drittel der Stimmen“). 
In der Tat ist auch schon aufgestellt worden: der königliche Gesetzesvorschlag sei angenommen, 
wenn in jeder Kammer „wenigstens mehr als ein Drittel der Anwesenden sich für den-Entwurf 
erklärt“ (Bülau, Verf. u. Verw. 1 S. 204). Es schadete also nichts, wenn beide Kammern 
ablehnen, wenn nur keine Zweidrittelmehrheit dabei ist! Das wäre ein Hohn gegen die Grund- 
gedanken des Verfassungsrechts. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Bestimmung des 
* 92 entgegengesetzte Beschlüsse „über die Annahme des Gesetzesvorschlags“ voraussetzt (Verf.= 
Urk. § 92, einen „Dissensus“ nach Ausdrucksweise des Geheimen Rates); also die eine Kammer 
muß angenommen, die andre abgelehnt haben. Der Regierungsentwurf § 106 hatte das besser 
gesagt, wenn er verlangte, „daß in der gegen die Annahme des Gesetzes stimmenden Kammer 
wenigstens eine Majorität von zwei Drittel für die Verwerfung gestimmt habe"“. Weshalb man 
schließlich den jetzigen § 92 anders gefaßt hat, ist nicht ersichtlich; in der Sache hat man jedenfalls 
nichts ändern wollen. Vgl. auch H. A. Zachariae, Deutsch. Staats= und Bundes-R. II 
S. 166 Note 8. 
11) Verf.-Urk. & 112 behandelt den nämlichen Vorgang in umgekehrter Richtung: „Alle 
ständischen Beschlüsse, welche auf cine Angelegenheit des Landes
	        
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