Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

8 21. Das Gesetzgebungsverfahren. 171 
  
nahme des Angebotes bestehen zeitliche Schranken und ebenso für die Zurückziehungs- 
möglichkeit. Ist die Annahme rechtzeitig erfolgt, so kann die Zustimmung nicht mehr 
einseitig zurückgenommen werden; Regierung und Stände sind untereinander daran ge- 
bunden, das Gesetz ist verein bart und ist jetzt zu erlassen. 15) 
Handelt es sich um einen vom König ausgehenden Gesetzesvor- 
schlag, so kommt diesem der Grundsatz zugute, daß jede Kammer an die von ihr ge- 
faßten Beschlüsse für die Dauer des Landtages gebunden ist (Landt.-Ord. § 21 Abs. 1). 
Stimmt also die zunächst befaßte Kammer zu, so muß sie jedenfalls bei diesem Beschlusse 
bleiben, bis die andere sich geäußert hat. Lehnt diese ab, so kann sie auch ihrerseits zurück- 
treten (Landt.-Ord. §J 21 Abs. 2); nimmt jene aber gleichfalls an, so ist das 
Gesetz vereinbart. Ebenso kann die Regierung ihren Vorschlag zurücknehmen bis zu diesem 
Augenblicke; nachher nicht mehr.1c) Nehmen die Stände den Gesetzesvorschlag 
des Königs nicht schlechthin an, sondern mit Abänderungen, so bedeutet das 
Ablehnung jenes Vorschlages mit gleichzeitiger Vorlegung eines neuen. Die Regierung 
kann alsdann einen nochmaligen Versuch machen, während desselben Landtages die An- 
nahme zu erzielen, wobei dann die Kammern ausnahmsweise ihre Beschlüsse ändern dürfen 
(Verf.-Urk. § 94; Landt.-Ord. § 21 Abs. 2). Oder sie kann ihren Vorschlag ohne weiteres 
zurücknehmen, in derselben Weise, wie die eine Kammer von ihrem Beschlusse zurücktritt, 
wenn die andere ihn ablehnt. Dann ist von ihrer Seite keine Offerte mehr da. Die Re- 
gierung kann endlich auch den Vorschlag der Stände annehmen. Das tut sie durch Er- 
„als Gesetz ins Land ergehen“ (Ges. vom 7. Sept. 1831). Für das Volk, für die Allgemeinheit 
werden die Bestimmungen der Verfassung erst dadurch zur Wirksamkeit gebracht; gebunden den 
Ständen gegenüber war der König schon vorher. Vgl. oben 5 3 S. 7 u. S. 8. Das gilt mit weniger 
Feierlichkeit fortan für alle Gesetze. 
15) So ist die Sprechweise der königlichen Dekrete. Vgl. z. B. Dekret an die Stände vom 
6. April 1906, (Landt.-Akten 1906 Bd. 3 N. 40). Der König erklärt sich „mit den Anderungen 
und Zusätzen einverstanden“ und genehmigt, daß der Etat (mit den dadurch sich ergebenden Steuer- 
summen) festgestellt wird. „Auch wird das demgemäß mit den getreuen Ständen verein barte 
Finanzgesetz auf die Jahre 1906 und 1907 unverweilt erlassen werden.“ Die Landtagsab- 
schiede haben eine stehende Rubrik, „das mit den getreuen Ständen verein barte Finanz- 
gesetz“ betreffend, welches nunmehr auch „erlassen“ werden soll: Ges.= u. Verord.-Bl. 1896 
S. 39, 1898 S. 57, 1900 S. 247, 1902 S. 138, 1904 S. 156, 1906 S. 54. Der letzte Landtags- 
abschied vom 26. Jan. 1909 hatte allerdings nur auf das schon erlassene Finanzgesetz zu verweisen. 
16) Verf.-Urk. § 90: „Der Königkann einen an die Kammerngerichteten 
Gesetzesvorschlag noch während der ständischen Diskussion darüber 
zurücknehmen.“ Also nach der Annahme nicht mehr. Bülau, Verf. u. Verw. I 
S. 204, nennt den inneren Grund ganz offen: „dann ist er (der Gesetzentwurf) als geschlossener 
Vertrag zu betrachten“; folglich ist der König nun auch gehalten, ihn zu „sanktionieren und als 
Gesetz zu publizieren". Gerber freilich, Grundzüge d. Deutsch. Staats-R. S. 151, fordert 
für den Monarchen unbedingte Freiheit, seinen Vorschlag jeder Zeit zurückzuziehen, auch nach 
der Annahme durch die Stände. Die entgegengesetzte Anicht beruhe auf der „völlig unrichtigen 
Vorstellung“ einer Vertragsofferte und Acceptation. Dadurch wird aber die Tatsache, daß die 
Sächs. Verf.-Urk. entgegengesetzt bestimmt, nicht aus der Welt geschafft. Fricker, Grundriß 
S. 167, fügt sich denn auch darein, indem er zu & 90 bemerkt: „Dieser höchst befremdliche und der 
deutschen Auffassung der monarchischen Gesetzgebung widersprechende Satz kann ohne gewalt- 
tätige Interpretation nicht weggeräumt werden. Er beruht auf einem verfehlten (!) Vertrags 
standpunkt.“ Opitz, Staats-R. II S. 97 Note 4, wendet sich gegen Bülaus oben erwähnten 
Satz, ohne zu verkennen, daß er dabei mit der Verf.-Urk. zu tun bekommt. „Diese Folgerung, meint 
er, ist im Hinblick auf die §§ 112 u. 113 der Verf.-Urk. offenbar irrig, wird aber durch die Fassung 
des & 94 nach dem arg. e contr. allerdings einigermaßen unterstützt.“ Unseres Erachtens kommt 
hier in erster Linie nicht § 94, sondern § 90 in Frage und dieser dürfte schlechthin entscheidend sein. 
Der „Hinblick“ auf § 113 sagt uns gar nichts, der auf #& 112 sagt allerdings, daß das Gesetz nur durch 
die Sanktion des Königs wirksam wird. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb eine voraus- 
gehende Selbstverpflichtung des Königs zur Sanktion damit in Widerspruch stände.
	        
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