172 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 5 21.
klärung an die Stände während der Dauer dieses Landtages, spätestens also im Landtags-
abschied; nachher kann sie nicht mehr, die nützliche Zeit für die Annahme der Vereinbarung
ist vorbei (Verf.-Urk. § 94, § 119).17)
Nach den gleichen Grundsätzen ist auch der Fall zu beurteilen, wo es sich um einen
von den Ständen ausgehenden Gesetzesvorschlag handelt. Die
übereinstimmenden Kammern sind gebunden bis zur Ablehnung von seiten des Königs
oder bis zum Schluß des Landtages. Die Regierung kann annehmen spätestens im Land-
tagsabschied.13)
Wie im zuerst erwähnten Falle durch die ständische Schrift, die dem Könige die glatte
Annahme seines Vorschlages anzeigt, so ist in den beiden letzten Fällen durch das Dekret an
die Stände, das die Genehmigung ihrer Anträge ausspricht, das zu erlassende Gesetz verein-
bart und damit das gemeinsame Werk zum Abschluß gekommen. 1) Was weiter geschieht,
ist Sache des Königs und seiner Regierung allein. Aber es geschieht nicht nach freiem
Belieben, sondern nach Maßgabe der durch die Vereinbarung den Ständen gegenüber
begründeten verfassungsrechtlichen Pflicht, dieses Gesetz, so wie es vereinbart ist, rechts-
wirksam hinausgehen zu lassen, in Vollzug zu setzen und aufrecht zu erhalten. 20)
4. Das verabschiedete, mit den Ständen vereinbarte Gesetz wird also nunmehr vom
König „ rlassen und promulgiert mit Bezug auf die rfolgte Zu-
stimmung der Stände“ (Verf.-Urk. § 87).
17) Fricker, Grundriß S. 168, bemerkt zu dieser Bestimmung mit Recht: „die Zurück-
nahme hat keine praktische Bedeutung, die nicht auch ohne Zurücknahme erreicht würde“. Höchstens
kann es unter Umständen zweckmäßig oder durch die auch in diesen Kreisen geltende Höflichkeit
geboten erscheinen, die Stände schon vor dem vielleicht noch fernen Landtagsschluß von der be-
schlossenen Ablehnung ihres Angebotes zu benachrichtigen. Richtig ist auch, was Fricker a.
a. O. bezüglich der Zurücknahme hinzufügt: „Es liegt aber ein Symptom des Vertragsstandpunktes
in ihr.“
18) Vermöge dieser Fristbestimmung ist es in Sachsen nicht möglich, daß ein durch die Volks-
vertretung angenommener Gesetzentwurf von der Regierung einfach auf Vorrat genommen wird,
um ihn später einmal bei passender Gelegenheit, vielleicht nach Jahren, zu sanktionieren, wie
das beim Reichsgesetz vom 8. März 1904, betr. die Aufhebung des & 2 des Jesuitengesetzes, geschah.
19) Der ersterwähnte Fall, daß die Stände den königlichen Gesetzesvorschlag glatt annehmen,
ist selten. Ebenso geschieht es nur ausnahmsweise und jedesmal aus besondren Gründen, daß
die königliche Genehmigung der von den Ständen vorgeschlagenen oder nur mit Abänderungen
angenommenen Entwürfe schon während der Dauer des Landtages ihnen mitgeteilt wird. Die
ordentliche Gelegenheit dazu ist ein für allemal der Landtagsabschied. Beispielsweise führt der
Landtagsabschied vom 7. April 1906 auf: A. „als erledigt" — zwei während der Tagung vom
König genehmigte und erlassene Gesetze, ein soeben erst (am 6. April) genehmigtes, „unverweilt“
zu erlassendes; B. als Vorlagen, „rücksichtlich deren es Unserer Entschließung noch bedarf“ — sech-
zehn vom Landtag angenommene Entwürfe. Bezüglich dieser sechzehn gibt der König jetzt im
Landtagsabschied seine Entschließung dahin kund, daß er sie den „ständischen Anträgen entsprechend“
als Gesetze veröffentlichen wird. Bei so überwiegender Bedeutung des Landtagsabschiedes für
das Zustandekommen der Vereinbarung über das Gesetz ist es erklärlich, daß man jedes Gesegtz,
über welches diese Einigung erfolgt ist, schlechthin als ein „verabschiedetes“ oder „mit
den Ständen verabschiedetes“ bezeichnet. — Zacharige, Deutsch. Staats-
u. Bundes-R. II S. 177, verwechselt diese Verabschiedung mit der Sanktion und gerät dadurch
in einige Unklarheiten.
20) Mit Grundsätzen des Allgemeinen Staatsrechts und mit dem Schreckbild des „privat-
rechtlichen“ Vertrages läßt sich gegen diese bestehende Rechtseinrichtung nicht aufkommen. Soll
doch einmal Naturrecht angerufen werden, so möchten wir behaupten, daß es danach geradezu
selbstverständlich sein muß, daß der König an sein den Ständen förmlich gegebenes Wort: ich werde
erlassen, ich werde veröffentlichen, auch gebunden sei. Darauf daß, was er zusagt, ihn ernstlich
verpflichtet, beruht ja die ganze Verfassung. Natürlich ist vorausgesetzt, daß die anderen einver-
standen gewesen seien; ob man dem nun den Namen Vertrag oder Vereinbarung gönnen will,
wird weniger wichtig sein; gewisse Grundgedanken des Vertragsrechtes kommen offenbar zur An-
wendung.