8 22. Das Verordnungsrecht. 177
Im Verfassungsstaat ist grundsätzlich, wie schon sein Name sagt, das mit Zustimmung
der Stände ergehende Gesetz des Königs dazu berufen, die erforderlichen rechtssatzmäßigen
Vorschriften zu liefern. Soll der König allein oder irgendeine andere Obrigkeit in solcher
Weise wirken, so versteht sich die rechtliche Fähigkeit dazu bei ihnen nicht so von selbst, son-
dern es bedarf eines besonderen Grundes, der sie zuständig macht, eines Rechtstitels. Wo
der gegeben ist, sprechen wir von einem Verordnungsrecht.
Den Rechtstitel liefert entweder die Verfassung selbst oder ein verfassungs-
mäßiges Gesetz.
Sie haben vor allem den Königverschiedentlich mit Verordnungsrechten ausgestattet.
Für die unter ihm stehenden Behörden hat zwar die Verfassung Verordnungsrechte
nicht vorgesehen, sie erhalten solche nur durch besondere Gesetze, dafür aber desto reich-
licher. Überdies erhalten sie abgeleiteterweise die wichtigsten Verordnungsrechte des
Königs zur Ausübung.
So überwiegen äußerlich und der Menge nach die Verordnungen der Behörden. Für
die rechtliche Beurteilung liegt aber der Ausgang und der Schwerpunkt in den Verord-
nungsrechten des Königs.
I. Die deutsche Staatsrechtswissenschaft unterscheidet drei Arten von Verordnungen,
je nach ihrem Verhältnisse zum Gesetz: die Ausführungsverordnung, die
besonders ermächtigte Verordnung und die Notverordnung.
Diese Arten finden sich auch im Sächsischen Staatsrecht wieder. Es gibt hier außerdem
allerdings noch eine vierte Art, die wir uns aber für den folgenden § 23 vorbehalten müssen.
1. Verf.-Urk. #87 bestimmt: „Der König erläßt und promulgirt die Gesetze, mit
Bezug auf die erfolgte Zustimmung der Stände, und erteilt die zu deren Voll-
ziehung und Handhabung erforderlichen, sowie die aus dem Auf-
sichts- und Verwaltungsrechte fließenden Verfügungen und Verordnun-
gen “.2) Es steht außer Zweifel, daß hiermit das Recht der Ausführungsver-
ordnung anerkannt ist. 3) Sobald ein Gesetz verfassungsmäßig ergangen ist, verbindet
sich damit von selbst die Ermächtigung für den König, die zur Durchführung des Gesetzes
etwa noch erforderlichen Rechtsvorschriften aufzustellen. In diesem Zwecke ist zugleich
die Grenze seines Rechtes gegeben: die Ausführungsverordnung kann keine neuen selb-
ständigen Rechtsgedanken bringen; sie hat nur zu entfalten, fertig zu denken, was im
Gesetze schon gewollt ist, die näheren Bedingungen seiner Wirksamkeit zum Ausdruck zu
Bestimmtheit erhalten wir am besten und einfachsten durch Abstoßung dieser anderen Dinge, die
wir je nachdem als Verfügungen, Verwaltungsvorschriften, Bekanntmachungen usw. bezeichnen
werden. Es ist also unnötig, unsere Verordnung noch besonders als Rechtsverordnung zu kenn-
zeichnen: wir nennen Verordnung nur die rechtssatzfähige. Es scheint mir kein glücklicher Ausweg
zu sein, wenn man Verordnungen anerkennt, die das nicht sind, und sie als „Verwaltungs“-Ver-
ordnungen besonders kennzeichnet. Ein Verwaltungsgesetz gibt doch Rechtssätze für die Ver-
waltung, ein Justizgesetz für die Justiz; dem entspricht die Verwaltungs= und die Justizverordnung,
die beide Rechtssätze geben für ihr Gebiet, nur eben ohne die Form des Gesetzes. In unsere amt-
liche Sprache ist jene Einteilung nicht übergegangen; wir haben also freie Hand, das Zweckmäßigste
zu wählen. Ahnlich wie hier: Opitz, Staats-R. II S. 83 bis 85.
2) Die Sächsische Verf.-Urk. schließt sich hier eng an die Badische an. Ihr § 87 entspricht dem
ersten Satz des § 66 jener, ihr § 88 dem zweiten.
3) Einen Unterschied zwischen Verordnungen zur Vollziehung und solchen zur Hand-
habung der Gesetze herausfinden zu wollen (Fricker, Grundriß S. 171), scheint mir un-
nütze Mühe zu sein. Man muß dem Gesetzgeber nicht allzuviel Feinheiten zutrauen. Daß hier
unter „Verfügungen und Verordnungen“" noch andere Dinge begriffen sind als Ausführungs-
verordnungen, ist klar (vgl. unten Note 9); für uns genügt es, daß diese auch begriffen sind.
Otto Mayer, Sächfisches Staatsrecht. 12