g 23. Der Staatsvertrag in staatsrechtlicher Hinsicht. 189
II. Wenn nach dem Ausgeführten der Staatsvertrag selbst nicht unmittelbar unter
die Herrschaft des Gesetzes gestellt ist, so spielt er dafür umgekehrt sehr bedeutsam in dessen
Gebiet hinein. Nicht bloß daß er tatsächlich den Erlaß eines Gesetzes zur Folge hat, er
liefert auch eine eigene Art von Ersatz dafür und verdrängt es teilweise aus der ihm nach
den Grundsätzen des Verfassungsrechtes zukommenden Stellung.
Das hängt damit zusammen, daß dieses Recht seinen Ursprung und seine feinere Aus-
bildung auf fremdem Boden gefunden hat und in Deutschland mit seinen Formeln nicht
immer auch das volle Verständnis ihrer Tragweite übernommen wurde.
Es ist ja vollkommen richtig, was man so oft betonen zu müssen glaubt, daß unser
Fürstentum grundsätzlich in seiner alten Machtstellung geblieben und nur so weit zugunsten
der Form des Gesetzes und somit der Volksvertretung beschränkt worden ist, als eben die
neue Verfassung das mit sich bringt. Dem Gesetz ist aber eben vor allem, wie schon sein
Name sagt und daher nicht besonders hervorgehoben wird, die Rechtssatzwirkung
vorbehalten; alle Rechtsordnung soll von ihm wenigstens ihren Ausgang nehmen. Das
hat man gar manchmal übersehen und hat geglaubt, mit dem Buchstaben der Verfassungs-
urkunden auszukommen: ein Gesetz, wurde behauptet, ist nur notwendig, wo ein Text
der Verfassung ein solches verlangt. Also wo dort eines versprochen
wurde, oder wo es sich um Anderung bereits ergangener Gesetze handelt, vor allem wo
einer der Eingriffe in Freiheit und Eigentum gemacht werden soll, wie sie die Verfassungs-
urkunde in den „Freiheitsrechten“ ausdrücklich dem Gesetze vorbehält (vgl. oben § 20, III
Nr. 2). In allen übrigen Fällen würde die Regierung frei und selbständig wirken
auch in Form des Rechtssatzes. Darin beruht ja eben jene Lehre vom selbständi-
gen Verordnungsrecht, die namentlich auch die mißverstandenen Verwaltungs-
vorschriften für sich verwendet.)
Diese Lehre selbst hat, wie erwähnt, in der Sächsischen Rechtshandhabung keinen
Anklang gefunden. Dagegen läuft neben ihr her, auf der gleichen Grundanschauung
von dem nur buchstabenmäßig zu nehmenden Herrschaftsbereich des Gesetzes erwachsen,
eine Lehre von selbständig entstehenden Rechtssatzungen, die an
den Staatsvertrag anknüpfen. Sie stand lange in großem Ansehen und
hat auch im Sächsischen Recht ihre Spuren hinterlassen.
Die ältere Theorie hatte sich nämlich den Begriff einer besonderen „Repräsentativ-
gewalt“ ausgebildet, die dem König allein zustände, und damit gewisse naturrechtliche
Anschauungen verknüpft von der notwendigen Übereinstimmung zwischen „äußerem und
innerem Staatsrecht“. Daraus wurde die Folgerung gezogen, daß der rechts.=
gültig abgeschlossene völkerrechtliche Vertrag ganz von selbst
auch Bestandteil werde der innerstaatlichen Rechtsordnung.
Ausdrucksweise — auch die Meinung sein von Leuthold, Staats-R. S. 235, und Fricker,
Grundriß S. 198. Das Richtige bei Bülau, Verf. u. Verw. 1 S. 69, S. 70: „Nirgends“, sagt
er, „ist den Ständen ein Einfluß auf die auswärtigen Angelegenheiten eingeräumt“ aber,
wenn auch „der König berechtigt ist, alle und jede Verträge mit dem Auslande zu schließen“, so
muß man erkennen, „daß eine Klugheitsregel gebietet, solche Verträge, die eine Handlung
bedingen, bei der es ständischer Zustimmung bedarf, von der letzteren abhängig zu machen, um
nicht bei dem Ausbleiben an der Erfüllung des Vertrages behindert zu sein.“ #
6) Vgl. darüber die grundlegenden Erörterungen oben § 20, III Nr. 1 und § 22. Nur die
Notverordnung macht eine Ausnahme sie will aber auch eine solche sein.
7) Bgl. oben § 22 Note 26.