g 23. Der Staatsvertrag in staatsrechtlicher Hinsicht. 191
schaffende Verordnung. Sie fällt unter keine der drei im § 22 angeführten, von der herr-
schenden Staatsrechtslehre anerkannten und unterschiedenen Arten: sie ist weder Not-
verordnung, noch verfassungsmäßig zugelassene Ausführung eines schon ergangenen
Gesetzes, beruht auch nicht auf besonderer Ermächtigung eines Gesetzes, sondern nimmt
ihren Rechtstitel allein aus dem abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrage.10)
Nach dem richtig verstandenen Sinn unserer Einrichtungen gibt allerdings dieser Vertrag
einen solchen Rechtstitel nicht. Es hat sich hier tatsächlich etwas wie ein selbständiges,
d. h. rechtlich unbegründetes Verordnungsrecht erhalten. Sein unverkennbarer Wider-
spruch mit der inneren Folgerichtigkeit des Verfassungsstaates läßt uns erwarten, daß
seine Tage gezählt sind.
III. In zwei Fällen wurde die Durchführung völkerrechtlicher Ver-
pflichtungen durch ausdrückliche Verfassungsbestimmung noch über
dieses Maß hinaus der einfachen Verordnung überlassen. Sie haben beide jetzt nur noch
geschichtlichen Wert.
1. Die Zugehörigkeit Sachsens zum Deutschen Bunde verpflichtete die Regierung
zur Ausführung der zuständigerweise von der Bundesversammlung ge-
faßten Beschlüsse. 1) Vor der Verfassung hatte das keine Schwierigkeit. Die
Verf.-Urk. aber wollte diese Beschlüsse unabhängig stellen von der landständischen Zu-
stimmung und bestimmte deshalb in ihrem §& 89, daß sie „sofort mit der vom König ver-
sügten Publikation“ in Kraft treten.12)
Die Bundestagsbeschlüsse wurden infolgedessen mit einfacher königlicher Verordnung
im Ges.= u. Verord.-Bl. kund gemacht und diese Verordnung hatte dann die Kraft, auch
solche Wirkungen zu äußern, welche durch die Verf.-Urk. dem Gesetze besonders vorbehalten
worden waren — also auch was die Verordnung zum Vollzug eines gewöhnlichen völker-
rechtlichen Vertrages nicht konnte.172
10) Da das Wort Verordnung in unseren amtlichen Kundgebungen auch zur Bezeichnung
bloßer Verwaltungsvorschriften dient, so müssen wir nach sachlichen Merkmalen unterscheiden
(vgl. oben § 22 Note 25). Beispiele von echten Verordnungen mit Rechtsvorschriften zum Vollzug
von Staatsverträgen finden sich z. B. im Ges.= u. Verord.-Bl. 1852 S. 139 (Rechtshilfe), 1853
S. 465 (Eisenacher Vertrag), 1854 S. 95 (Kosten in Strafsachen), 1865 S. 48 (Rechtshilfe), S. 111
(Eheschließung).
11) Wiener Schluß-Akte Art. 32.
122) Der § 89 wurde zuerst durch Verf.-Ges. vom 5. Mai 1851 abgeändert, um auch über das
ständische Ausgabenbewilligungsrecht hinwegzuhelfen, durch Ges. vom 3. Dez. 1868 aber in dem
uns hier angehenden Stücke gänzlich beseitigt: der Nordd. Bund bedurfte solcher Stützen in der
Landesverfassung nicht mehr. — Ahnliche Bestimmungen hatten vorher schon die Badische Verf. 82,
die Württembergische § 3, die Hessische Art. 2 getroffen. Die Bayrische enthielt nichts dergleichen.
In Bayern bedurfte es eines Landesgesetzes, ganz ebenso, wie wenn kein Bundesbeschluß vorlag:
Pözl, Bayr. Verf.-R. § 169 Note 3.
13) Die nähere Bezeichnung war: „Verordnung zur Publikation des gefaßten Bundes-
beschlusses.“ Ursprünglich hieß es kurz: „Die Bundesversammlung hat sich veranlaßt gefunden,
folgenden Beschluß zu fassen“ (Verordnung vom 24. Juli 1832; Ges.= u. Verord.-Bl. S. 389).
Nachher pflegte man einzuleiten: „Wir verkünden hiermit, daß von der Bundesversammlung
folgender Beschluß gefaßt worden ist“ (Verordnung vom 24. Nov. 1832, vom 15. Okt. 1836; Ges.=
u. Verord.-Bl. 1832 S. 469, 1836 S. 308). In späteren Jahren wurde auch noch am Schlusse hinzu-
gesetzt: „In Gemäßheit von §1 des Ges. vom 5. Mai 1851 haben Wir die Publikation dieses Bundes-
tagsbeschlusses verfügt“ (Verordnung vom 29. und 30. Jan. 1855; Ges.= u. Verord.-Bl., S. 27
u. S. 31). Der Wortlaut spräche, wie man sieht, dafür, daß das Wirksame auch für das innere Recht
der Bundesbeschluß sei und der König ihn nur zur Veröffentlichung bringe, wie jetzt der Kaiser die
Reichsgesetze. Diese Auffassung fand ihre Vertreter. Für das Badische Recht wurde sie in einem
Erkenntnis des Oberhofgerichtes (Jahrbücher des Großhzl. Bad. Oberhofgerichts XVI S. 263 ff.)
nachdrücklichst begründet. Für Sachsen scheint Grünler, Beiträge S. 62 f., sich anzuschließen